Der Hexer - NR27 - Todesvisionen
blieb nur ein vages Gefühl der Gefahr.
Es war, dachte ich mit Schaudern, als hätte sich eine unsichtbare Tür kurz geöffnet, als hätte etwas mit aller Hast in die Wirklichkeit hinausgegriffen, um das Tor gleich wieder hinter sich ins Schloß zu werfen.
Und Shadow mit sich zu nehmen!
Ich kniete nieder, berührte ihre Spuren mit den Fingerspitzen und verstärkte meine Bemühungen, der magischen Quelle auf die Spur zu kommen, aber es war zu spät. Der Hauch des Bösen, den ich eben noch gespürt hatte, war verflogen.
Dafür entdeckte ich etwas anderes. Der Fetzen lag halb verdeckt im Sand, gleich hinter Shadows Fußspuren. Ein ehemals wohl weißes Stück Stoff, seltsam steif und in sich verdreht.
Und von Blut getränkt.
Eine eiskalte Hand umschloß mein Herz und preßte es zusammen. Hastig griff ich nach dem Fetzen – und atmete auf. Es konnte nicht Shadows Blut sein. Der Stoff war hart wie Papier, das Blut eingetrocknet und spröde. Als meine Finger den Stoff berührten, löste es sich wie rostige Flecken und rieselte zu Boden.
Und als ich das Tuch aufnahm und in den Händen drehte, zerstob es unter meinen Fingern zu feinem Staub. Es mußte alt sein – uralt...
»Robert!« Ein lauter Ruf riß mich aus meinen Gedanken. Ich fuhr herum.
Bill stand bei der Gruppe, die sich um den toten Wachposten geschart hatte, und winkte mich ungeduldig heran. Noch einmal wandte ich mich der verwischten Spur zu, aber es gab nichts, was ich noch hätte tun können. Shadow war und blieb verschwunden – eine Tatsache, mit der ich mich abfinden mußte. Ich war hilflos wie selten zuvor. Ich konnte nur hoffen und zu Gott beten, daß sie noch am Leben war.
So erhob ich mich schließlich von meinem Platz und eilte mit schnellen Schritten zu den anderen hinüber. Mittlerweile hatten sich alle bei dem Toten eingefunden; alle außer Annie, die mit bleichem Gesicht abseits stand und offensichtlich bemüht war, ihren Magen im Zaum zu halten.
Der Schrecken der letzten Minuten muß mir nur allzu deutlich im Gesicht gestanden haben, denn als sich Bill umwandte, um mich durch die Reihen der Indianer zu dem Leichnam zu ziehen, verharrte er mitten in der Bewegung.
»Mein Gott... was ist denn geschehen? Und wo ist Miß Shadow?« fragte er, wie immer viel zu laut.
Die Köpfe der anderen ruckten herum, und sofort sah ich wieder Argwohn in den Augen der Indianer aufblitzen. Ixmal löste sich aus der Gruppe und trat dicht an mich heran. Er reichte mir gerade bis an die Schultern, und trotzdem drückte er in diesem Moment solch eine Kraft und Drohung aus, daß ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Sie ist... verschwunden«, antwortete ich lahm und zuckte die Achseln. »Einfach verschwunden.« Wahrscheinlich war es das Falscheste, was ich in diesem Augenblick überhaupt sagen konnte.
»Was soll das heißen?« Ixmal ballte die Fäuste und trat abermals an mich heran. »Wenn ihr etwas zugestoßen ist –
Wieder war es Sitting Bull, der eine Auseinandersetzung im letzten Moment verhinderte. Er tauchte plötzlich hinter Ixmal auf und legte ihm seine sehnige Hand auf die Schulter.
Für einen kurzen Moment nur trafen sich unsere Blicke, dann wußte der alte Häuptling genug. Seine Stimme klang ruhig und bestimmt, als er sich an mich wandte. »Was ist geschehen, Blitzhaar?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, gab ich zurück. »Wir standen dicht beisammen, dort drüben«, ich deutete zu der Felswand hinüber, »und plötzlich war sie verschwunden, noch während ich –
Ich sprach nicht weiter. Plötzlich wußte ich, warum der indianische Posten auf so schreckliche Weise gestorben war.
Er hatte mich ablenken sollen; mehr nicht! Shadow hatte geahnt, was hinter all diesen Alpträumen steckte, und ihre Vermutungen waren offensichtlich richtig gewesen.
Wer immer die Träume geschickt und das Netz aus Wahnsinn und Tod gewoben hatte, in das ich mich immer mehr verstrickte – er hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Zum einen hatte er Shadow mundtot gemacht (und vielleicht nicht nur das, flüsterte eine bösartige Stimme in meinem Gehirn), zum anderen hatte er den Posten beseitigt. Den Mann, der mich in meinem Wachtraum angegriffen hatte und den ich als einzigen noch hätte befragen können, um Klarheit in diese ganze mysteriöse Angelegenheit zu bringen.
All dies schoß mir in einem einzigen Augenblick durch den Kopf, und diesmal war ich klug genug, mir nichts anmerken zu lassen. Wenn mir die Indianer um Ixmal auch manches
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