Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt
kriegen.«
Howard nahm die Fackel und wog sie in der Hand. »Das wird reichen, um ihn in die Enge zu treiben«, sagte er. Wie so oft verschwand sein Gesicht hinter einer stinkenden Rauchwolke, während er sprach. »Die Schwierigkeit ist, ihn zu finden.«
Wir hatten uns geeinigt, in dem Abbruchviertel mit der Suche zu beginnen. Er war in das Labor geflohen, als ich auf ihn geschossen hatte, an den Ort seiner »Geburt«. Also nahmen wir an, daß er sich nicht allzuweit davon entfernt aufhielt. Am Tage konnte er sich nicht ins Freie wagen; folglich war er noch dort.
Als wir durch die Halle gingen und uns der Eingangstür näherten, hörte ich ein Poltern und Platschen hinter uns. Ich fuhr herum, von bösen Ahnungen erfüllt.
»Was ist los?« fragte Howard und wandte sich ebenfalls um. Spätestens jetzt war ich davon überzeugt, daß er Gurk tatsächlich nicht sehen konnte. Der kleine Kobold kugelte lachend die Treppe herab und hüpfte mit grotesken Sprüngen auf uns zu. »Wirst du wohl auf mich warten?« rief er mit lauter Stimme.
Mein letzter Funken Hoffnung schwand dahin. Die anderen konnten ihn auch nicht hören.
»Nichts. Ich habe mich... geirrt«, beantwortete ich Howards Frage. Was hätte ich auch sonst machen sollen? Ich konnte niemanden auf den anhänglichen Gnom aufmerksam machen.
»He – du lernst schnell«, spottete Gurk. »Ich sehe schon – wir kommen prächtig miteinander aus.« Er wieselte heran und an uns vorbei. Als ich aus der Tür trat, passierte es. Der Fußabstreifer warf Wellen. Mein Fuß stieß dagegen, und ich landete in Rowlfs Armen, der mich gedankenschnell aufgefangen hatte.
»Wohl noch nicht richtig aufm Damm?« fragte er. »Oder träumste mit offenen Augen?«
»Ich bin gestolpert, sonst nichts«, antwortete ich gereizt und starrte wütend auf Gurk, der sich auf dem Straßenpflaster vor Lachen kugelte. Rowlf stellte mich wieder auf die Füße und schwang sich auf den Kutschbock.
Howard und ich stiegen ein. Hinter mir hüpfte Gurk in den Wagen, noch bevor ich die Tür schließen konnte. Er nahm auf dem Sitz mir gegenüber Platz und bohrte ausgiebig in seiner dicken Kartoffelnase. Neben ihm paffte Howard seelenruhig seine Zigarre und bemerkte nichts von seiner Anwesenheit, obwohl Gurk einen deutlichen Abdruck im Kissen hinterließ. Aber vielleicht sah ich auch das als einziger.
Draußen ging langsam die Sonne unter. Noch hatte sie den Horizont nicht erreicht und tauchte die vornehmen Häuser des Ashton Place, an denen wir vorbeifuhren, in goldenes Licht.
Es war ein wundervoller Abend. Ein Abend, um mit seinem Mädchen im Park spazierenzugehen und ihr zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern. Ein Abend, um am Ufer der Themse zu sitzen und die Angelschnur auszuwerfen.
Gewiß kein Abend, um einem Säuremonster entgegenzutreten.
Aber diese Gedanken waren mehr als müßig. Wenn es uns nicht gelang, den Golem zu vernichten, war London verloren, vielleicht schon morgen. Wie viele Tote würden in dieser Nacht aus den Gräbern kommen? Wann war die Armee des Bösen bereit?
Es schien, als hätte Howard meine Gedanken erraten. Er straffte sich und sah mir in die Augen. »Wir schaffen es, Robert«, sagte er eindringlich, doch seinen Worten fehlte die nötige Überzeugungskraft.
Ich nickte schwach. »Wenn Gott will«, fügte ich hinzu.
»Was für eine öde Unterhaltung«, murrte Gurk von seinem Sitz herab. »Laßt den Leichen doch ihre Freude. Ihr hängt alle viel zu sehr an eurem armseligen Leben.« Damit stand er auf und streckte seinen Knollenkörper. Sein Gähnen hätte einem Nilpferd zur Ehre gereicht. »Ich verziehe mich eben mal«, sagte er dann und zwinkerte mir zu. »Ich bin aber rechtzeitig wieder da. Wehe dir, du stolperst bis dahin ohne meine Schuld.« Dann hüpfte er auf den Boden der Kutsche und sickerte durch ihn hindurch. Offenbar pflegte er eine Vorliebe für effektvolle Abgänge.
Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Von Westen trieben schwere Gewitterwolken heran und verdunkelten die Sonne. Von einer Minute auf die andere hatte sich der laue, sonnige Abend in eine düstere Vorahnung von Unheil und Gefahr gewandelt. Es ging gespenstisch schnell, fast, als wolle mich das Schicksal warnen, die Fahrt fortzusetzen...
Ich versuchte, die bösen Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben, doch es gelang mir nicht ganz. Irgendwo tief in mir flüsterte eine Stimme, daß meine Magie nicht ausreichen würde, den Golem zu vernichten, daß ich versagen würde und dafür mit meinem Leben
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