Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt
bezahlte. Und mit dem Leben von Millionen Unschuldigen.
Auch Howard hatte das nahe Sommergewitter bemerkt. Er öffnete eines der Schiebefenster und warf seinen Zigarrenstummel hinaus.
»Auch das noch«, sagte er und deutete auf die schweren Wolken in der Ferne. »Aber wer weiß – vielleicht schadet Regen dem Golem. Das Magnesium wird er jedenfalls nicht löschen können, wenn die Fackeln erst einmal brennen.«
Ich glaubte ein dumpfes, rollendes Donnern zu hören, weit, sehr weit entfernt. Noch einmal brach die Sonne durch, dann war sie hinter den Wolken verschwunden. Die Dämmerung senkte sich wie ein graues Leichentuch über London.
Wir hatten das Zentrum der Stadt umfahren und durchquerten Paddington. Ich sah, wie überall in den Häusern die Fenster geschlossen und die Stühle und Sonnenschirme von den Balkonen und Verandas geholt wurden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Tropfen fielen.
Das Verbindungsfenster zum Kutschbock glitt zur Seite, und Rowlf schaute herein. Sein Bulldoggengesicht verzog sich zu einer leidenden Grimasse.
»Ich hätt besser meinen Hut mitgenommen!« rief er durch das Rumpeln der Kutsche, die nun über immer schlechter werdende Straßen holperte. »Das sieht nach ‘nem ausgewachsenen Gewitter aus!«
Howard wandte sich zu ihm um. »Wann kommen wir an?«
Rowlfs Gesicht verschwand für einen Moment, und wir sahen eine Kutsche auf der Gegenbahn vorbeihuschen. Dann beugte er sich wieder zu uns herab. »Schätze, wir sin gleich da. ‘n paar Minuten noch.«
Ich spürte förmlich, wie Howard nervös wurde. Seine Finger spielten unbewußt an den Mantelknöpfen herum, und er sah immer wieder auf die Straße hinaus. Das Gewitter machte uns einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich hätte es noch mindestens für eine Stunde hell sein müssen; eine Stunde, in der wir uns hätten orientieren können. Nun war die Galgenfrist dahin; es wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler.
Und der Golem konnte jeden Moment sein Versteck verlassen. Auch ich saß auf glühenden Kohlen.
Als wir in die Straße einbogen, in der das verfallene Haus mit dem Labor lag, fielen die ersten schweren Tropfen. Es war der erste Regen seit über zwei Wochen, und der Staub auf der Straße verband sich mit ihm zu einer schmierigen, glitschigen Schicht. Ein fauliger Geruch kam auf und stach unangenehm in meine Nase.
Ich schlug den Kragen meines leichten Mantels hoch, als ich mit Howard aus der Kutsche stieg. Es war merklich kühler geworden, und der Donner schien einen leichten Wind von Westen heranzutragen. Ich fröstelte.
Rowlf lenkte die Kutsche unter einem Torbogen hindurch in einen überdachten Innenhof. Dort ließ er Pferd und Kutsche stehen und kam mit schnellem Schritt zu uns zurück.
Howard öffnete den Leinensack und zog drei der kurzstieligen Fackeln hervor. »Also, wie abgesprochen. Wir trennen uns und sehen uns erst einmal in den Kellerräumen der umliegenden Häuser um«, sagte er und gab die Fackeln an Rowlf weiter. »Sobald einer von uns auch nur auf die Spur des Golems stößt, ruft er die anderen. Und beim geringsten Anzeichen von Gefahr entzündet er die Fackel. Das Licht wird den Kerl abschrecken. Noch Fragen?«
Rowlf schüttelte stumm den Kopf. Seine Finger krampften sich so fest um die Metallgriffe der Fackeln, daß die Knöchel weiß hervortraten. Selbst er, der sonst weder Tod noch Teufel fürchtete, wirkte nervös, fast ängstlich.
Ich nahm meine drei Fackeln von Howard entgegen und steckte sie unter meinem Mantel in den Gürtel. Die Regentropfen fielen nun dichter und regelmäßig, und ich wollte das Risiko nicht eingehen, daß das Magnesium feucht wurde.
Howard legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich kann dir nicht wünschen, daß du als erster auf den Golem triffst«, sagte er leise, »aber du allein kannst ihn vernichten. Viel Glück, Robert.«
Ich versuchte zu lächeln, aber es mißlang mir kläglich.
Als wir uns trennten, kam es mir vor, als sehe ich die Freunde zum letzten Mal...
* * *
Dunkelheit umgab ihn, als er aus dem Halbschlaf schreckte. Finsternis, die keines Menschen Blick durchdringen konnte, erfüllt von schäumenden, monotonen Geräuschen, die von den Wäldern widerhallten.
Und doch sah er, war zum Sehen verdammt, denn es war ihm nicht möglich, seine Augen zu schließen.
Vor Ewigkeiten war er geflohen vor einem grellen, furchtbaren Ball, der langsam in der Ferne aufgestiegen war und ihn mit seinem Licht gequält hatte. Schließlich, mehr durch
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