Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt
Brüste mit kleinen, sanften Küssen. Lydias Körper wand sich unter dem seinen, und ihr Atem ging heftig und stoßweise.
Die Erregung machte sie beide blind. Blind und taub. Sie hörten nicht, wie sich leise, tappende Schritte vom Wald her näherten. Sie sahen nicht die tückischen gelben Lichter, die wie kleine Flammen in der Dunkelheit tanzten, immer zwei und zwei zusammen, und immer näher kommend.
Plötzlich löste sich Lydia von ihrem jungen, ungestümen Liebhaber und hob den Kopf. Petrosch blickte ihr überrascht in die Augen. »Was ist denn?« fragte er verwirrt.
Sie sog die Nachtluft tief in ihre Lungen. »Dieser Gestank. Riechst du denn nichts? Es riecht nach... Schimmel. Und nach verdorbenem Fleisch...«
Jetzt schnupperte auch Petrosch und verzog angeekelt das Gesicht. »Hier muß irgendwo ein Tier verendet sein«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Vielleicht ein Hase oder –«
»Laß uns gehen«, drängte Lydia. »Nur ein paar Schritte. Da hinten am Waldrand habe ich vorhin eine gute Stelle gesehen.«
Sie hatte sich auf die Knie erhoben und deutete mit der Rechten zu den hohen Tannen hinüber, deren Silhouette sich vor dem tiefblauen Nachthimmel abhob.
Petrosch folgte ihrem Arm – und erstarrte.
»Was um alles in der Welt ist das?« fragte er und sprang auf die Füße. »Das können doch unmöglich Leuchtkäfer sein. Noch dazu in solchen Mengen...«
Lydia kam neben ihm hoch und legte den Arm um seine Hüften. Der lose Rock rutschte an ihren Beinen herab und legte sich um ihre Füße. Doch Petrosch hatte keinen Blick mehr für ihre makellose Figur. Sein Mißtrauen war geweckt, und aus den Tiefen seines Unterbewußtseins flüsterte eine leise Stimme von Gefahr. Er löste sich von Lydia und schlüpfte in seine groben Leinenhosen. Dann bückte er sich und tastete nach dem Messer, das er stets im Gürtel trug.
»Warte hier«, raunte er leise, ohne sich nach ihr umzudrehen. »Ich sehe mir die Sache einmal an.«
Lydia klammerte sich an seinem Arm fest und hielt ihn zurück. »Der Mulo«, flüsterte sie ängstlich. Ihre Stimme bebte vor Angst. »Es ist der Mulo!«
Nun wandte sich Petrosch doch zu ihr um. »Der Totengeist?« Seine Stimme klang nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Sekunden. Dann schüttelte er den Kopf und packte das Messer fester. Die blanke Klinge warf zuckende Reflexe auf sein Gesicht, und Lydia sah, daß Schweiß auf seiner Stirn stand. »Unsinn. Was sollte der Mulo von uns wollen? Nein, Lydia, es gibt eine andere Erklärung dafür. Eine harmlose«, fügte er schnell hinzu. »Ich muß ihr auf den Grund gehen.«
Er konnte sich gar nicht anders verhalten. Wie alle Zigeuner war auch er von einem tiefverwurzelten Stolz erfüllt, und dies hier war die Rolle des Beschützers. Er fühlte sich stark genug, es notfalls mit einer ganzen Bande von Strauchdieben aufzunehmen. Er mußte es tun.
Er streifte Lydias Hand ab und schlich geduckt auf die seltsam leuchtenden Punkte zu, das Messer halb erhoben und die gebogene Klinge nach oben gerichtet.
Der Gestank wurde stärker. Erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, daß er mit den Lichtern zusammenhängen könnte. Unbewußt verlangsamte er seine Schritte. Das Gefühl von Gefahr wuchs an und ließ sein Herz schneller schlagen. Schließlich, er war nur noch einen Steinwurf von den Lichtern entfernt, blieb Petrosch stehen und duckte sich ins Gras.
Jetzt sah er auch, daß die Kette der Leuchtpunkte viel größer war, als er angenommen hatte; sie erstreckte sich fast über den gesamten Waldrand und kam schnell näher.
Petrosch hielt den Atem an und lauschte. Aus der Dunkelheit drangen seltsame Geräusche an sein Ohr: ein verzerrtes, qualvolles Stöhnen, ein Knirschen wie von dünnen Holzstäben, die aneinandergerieben wurden, ein Geifern und Schmatzen.
Lauf! schrie ihm sein Instinkt zu. Rette dich und Lydia!
Bleib! schrie sein Stolz. Finde heraus, was da auf das Lager zukommt. Du bist es der Sippe schuldig!
Unschlüssig blieb er hocken und blickte sich um. In einiger Entfernung hinter sich konnte er Lydias hellen, schlanken Körper ausmachen. Und vor ihm schälten sich nun die ersten Umrisse aus der Dunkelheit.
Es sind Augen! durchzuckte es den jungen Mann. Die Lichter sind Augen!
Gleichzeitig traf ihn der Schreck wie ein Keulenschlag und ließ ihn zurücktaumeln. Der Mond brach durch die Wolken und bot ihm ein Schauspiel des Grauens. Bleiche Gerippe, nur noch von unheiligen Kräften gehalten, tote Körper, zerfetzte Leichenhemden, die um
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