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Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London

Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London

Titel: Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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sich um, blickte zu den Ästen hinauf und stieß einen furchtbaren Schrei aus.
    »Daddy!«
    Es war zuviel für den Jungen. Er machte Anstalten, zu dem Baum hinüberzulaufen, hatte aber nicht die Kraft dazu. Seine Beine versagten ihm den Dienst. Er schrie laut auf und sank, von Weinkrämpfen geschüttelt, ins feuchte Gras.
    Baskerville, Dr. Mortimer und Chalef drehten dem Sumpfloch den Rücken zu und wateten zur Wiese zurück. Als sie unter dem Baum ankamen, sagte zunächst keiner von ihnen ein Wort. Sie waren gestandene Männer, die in ihrem Leben schon so manches gesehen und erlebt hatten, aber dieser schreckliche Anblick raubte ihnen buchstäblich die Sprache.
    Baskerville brach schließlich das lastende Schweigen. »Wie... ist er da hinaufgekommen?« fragte er leise.
    Eine im Grunde überflüssige Frage, denn weder der Arzt noch Chalef konnten sie beantworten. Es war ganz einfach unerklärlich.
    »Wir sollten ihn herunterholen«, schlug Dr. Mortimer vor.
    Baskerville nickte. Er gab seinem arabischen Diener einen Wink, und Chalef kletterte geschmeidig wie eine Katze an dem verwachsenen Baumstamm in die Höhe, gefolgt von seinem Herrn. Gemeinsam bargen die beiden Männer den Toten und betteten ihn dann auf die Erde.
    Bruce Murphy kam nicht zu ihnen herüber. Er hatte den Kopf in seinen Armen verborgen und schluchzte vor sich hin, unfähig, sich aus dem Gras zu erheben.
    Dr. Mortimer beugte sich über den Toten, um eine erste ärztliche Untersuchung vorzunehmen. Frederic Murphy bot ein Bild des Schreckens. Seine Züge waren auf furchtbare Weise verzerrt, als hätte er im Augenblick seines Todes dem nackten Grauen ins Gesicht geblickt. Sein Körper war von Schürfwunden übersät, aus denen jedoch merkwürdigerweise kein Blut gedrungen war. Unterhalb des Kinns zeigte sich ein eigenartiger, tiefdunkler Fleck. Seine Hautfarbe war, selbst für einen Leichnam, von außergewöhnlicher Blässe, während sein ganzer Körper seltsam ausgemergelt erschien – wie eine bloße Hülle.
    Mit gerunzelter Stirn zog Dr. Mortimer einige ärztliche Instrumente aus der Innentasche seiner Jacke und setzte seine Untersuchung beinahe hektisch fort. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei dem dunklen Fleck am Hals. Henry Baskerville bemerkte, daß seine Hände stärker zitterten, als man dies von einem erfahrenen Arzt normalerweise erwarten sollte.
    Schließlich richtete sich Dr. Mortimer wieder auf. Seine Mundwinkel zuckten, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, in dem sich Ungläubigkeit und Entsetzen paarten.
    »Was... haben Sie festgestellt, Doktor?« erkundigte sich Henry Baskerville zaghaft. Plötzlich war er sich gar nicht mehr sicher, ob er es überhaupt wissen wollte.
    Dr. Mortimer antwortete nicht sofort. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um den perlenden Schweiß wegzuwischen, und atmete tief und angestrengt.
    »Ich kann es kaum glauben«, sagte er dann mit belegter, beinahe tonloser Stimme.
    »Was?«
    »Im Körper dieses Mannes ist kein einziger Tropfen Blut mehr, Sir Henry!«
    Henry Baskerville glaubte, sich verhört zu haben.
    »Was sagen Sie?« fragte er fassungslos. »Ich verstehe nicht ganz...«
    »Ich verstehe es auch nicht«, erwiderte der Doktor. »Aber wenn mich nicht alles täuscht, dann wurde Frederic Murphy das Blut... ausgesaugt.«

    * * *

    Auf meiner Fahrt nach Devonshire teilte ich das Zugabteil mit zwei Männern, die offenbar zusammen reisten. Beide waren recht groß und hager, doch während der eine von ihnen recht alltäglich wirkte und zu jenen Leuten gehörte, die man sah und sofort wieder vergaß, konnte einem der andere schon in der Erinnerung haften bleiben. Er war so schlank, daß er noch größer erschien, als er ohnehin schon war. Ein kantiges, vorspringendes Kinn und eine schmale Adlernase deuteten auf Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen hin. Am auffälligsten waren jedoch seine Augen, die außergewöhnlich aufmerksam, ja wachsam wirkten. Allein dieser Blick ließ mich den Eindruck gewinnen, daß diesem Mann nichts, aber auch gar nichts von dem entging, was sich um ihn herum abspielte.
    Während der ersten Meilen unserer gemeinsamen Fahrt beschäftigte ich mich mit einer Ausgabe der TIMES. Und ich wunderte mich nicht darüber, daß es mir schwerfiel, mich auf die Lektüre zu konzentrieren. Wie eigentlich ständig in den vergangenen Tagen, schweiften meine Gedanken wieder ab – zu Sir Henry Baskerville. Schließlich faltete ich die Zeitung zusammen, lehnte mich zurück und

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