Der Hexer - NR38 - Das Auge des Satans
Rock stierte. Sein Grinsen wurde etwas gequält, als Ali ihm seinen rechten Fuß hineinsetzte, und verschwand eine Sekunde später vollends – zusammen mit seinem Besitzer, der mit einem gellenden Schrei nach hinten fiel und in der Tiefe verschwand.
Trotzdem war es aussichtslos. Von den dreißig Beduinen, die uns verfolgten, kletterten mehr als zwanzig hinter uns her – und sie hatten aus dem Schicksal ihrer beiden etwas übereifrigen Kameraden gelernt! Sie versuchten jetzt nicht mehr, uns von unten zu packen und von der Wand zu zerren, sondern kletterten geschickt wie große burnustragende Affen rechts und links an uns vorbei und attackierten uns mit ihren Schwertern; nicht, um uns zu töten, sondern um uns zu zwingen, wieder hinunter zu klettern.
Hätten sie versucht, uns umzubringen, wäre es in eben dieser Sekunde um uns geschehen gewesen.
Gleich zwei der Burschen hingen neben mir und schlugen mit Fäusten und den stumpfen Seiten ihrer Krummsäbel auf mich ein, und da ich beide Hände brauchte, um Letitia und mich selbst festzuhalten, hatte ich nicht mehr sehr viel, womit ich mich zur Wehr setzen konnte. Ich versuchte zwar, nach den Kerlen zu treten, aber es blieb bei einem Versuch. Dann tauchte ein Schatten über mir auf, und ein Fuß traf mein Gesicht, als ich dämlich genug war, tatsächlich nach oben zu sehen.
Für einen Moment drohte ich das Bewußtsein zu verlieren. Die Wand schien sich unter mir zu biegen; Himmel und Erde drehten wie sich in einem tödlichen Kaleidoskop um mich, und Letitias Gewicht wollte mich in die Tiefe zerren. Mit der Kraft der Verzweiflung krallte ich mich an den heißen Fels, kämpfte die Dunkelheit in meinen Gedanken nieder und biß die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Der Bursche neben mir schlug noch immer mit der Faust auf meinen Rücken ein, nicht einmal allzu fest, aber sehr ausdauernd, und sein Kumpel über mir fuchtelte drohend mit dem rechten Fuß herum.
»Gib auf, Giaur«, stöhnte Ali. Seine Stimme wehte wie von weit, weit her an mein Ohr. Mühsam drehte ich den Kopf, blinzelte das Blut weg, das mir in die Augen gelaufen war, und sah ihn an. Auch er schien sich nunmehr mit letzter Kraft an der Wand zu halten. Sein Gesicht war verquollen und voller Blut. Er versuchte zu lächeln, aber es war wohl eher eine Grimasse.
»Sie haben uns«, stöhnte er, hob den Kopf und fügte ein Wort in seiner Muttersprache hinzu, das ich zwar nicht verstand, dessen Bedeutung mir aber klar war. Und tatsächlich hörten die Beni Ugad auch auf, auf mich und ihn einzuprügeln. Statt dessen richtete sich ein ganzer Wald von Messer- und Schwertspitzen auf uns.
Der Weg nach unten war wie ein Alptraum. Ich schätze, daß wir eine gute Viertelstunde für die paar Yards brauchten, und als ich endlich wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, war ich so erschöpft, daß ich schlichtweg zusammenbrach. Sofort wurde ich gepackt, von rauhen Händen wieder auf die Beine gezerrt und gegen den Felsen geworfen. Ein paar Schläge trafen mein Gesicht, aber ich spürte sie kaum noch.
Dann packten sie mich, bogen mir die Arme auf den Rücken und schleiften mich zurück zu dem Kamel, auf dem unsere vergebliche Flucht begonnen hatte.
* * *
Die beiden Tempelritter zügelten ihre Pferde auf dem Kamm des Felsens, auf halber Strecke zwischen der Biegung der schmalen Schlucht und der lotrechten Wand, auf der sich das Ende des Dramas abzuzeichnen begann. Ihre weiße Kleidung und die gleichfarbigen Schabracken der Streitrosse verschmolzen beinahe mit dem sonnendurchglühten Sand, so daß sie selbst ein zufällig in ihre Richtung schweifender Blick kaum entdeckt hätte.
Aber es war nicht die Furcht vor Entdeckung, die Guillaume de Saint Denis bewog, diese Deckung aufzusuchen. Der Begriff Furcht war ihm unbekannt – wußte er doch, daß sie auf der Seite Christi und somit der Gerechten kämpften, was ihren Sieg von vornherein wahrscheinlich machte. Nein – das Warten gehörte ganz einfach zu seinem Plan.
Renard de Banrieux, der zweite Tempelritter, in seiner weißen Prachtuniform Guillaume fast zu Verwechseln ähnlich, nur eine halbe Handspanne kleiner, zeigte in letzter Zeit zunehmende Anzeichen von Nervosität, wie Guillaume besorgt feststellte. Er konnte das Gesicht des anderen nicht sehen, denn auch er trug den schweren, bis auf einen kaum fingerbreiten Schlitz über den Augen geschlossenen Helm, aber sein Körper und seine unbewußten Bewegungen redeten in einer eigenen Sprache;
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