Der Hexer und die Henkerstochter
erahnen konnte. Sie war schmal und niedrig. Gebückt kauerte er darin und roch den starken Duft nach frischem Fichtenholz.
»Heda, ihr Ochsen, zieht!«
Rumpelnd setzte sich der Wagen in Bewegung. Nepomuk musste sich an den Wänden des Kastens festhalten, um nicht hin und her geschleudert zu werden. Nach einer Weile konnte er draußen Stimmen hören, es waren böse, zornige Stimmen, und sie wurden immer mehr.
»Hängt den Hexer! Hängt und verbrennt ihn! Wie in der Hölle soll er brennen!«
»He, Mönchlein, zauber dich doch einfach aus der Kiste raus! Oder kannst du das nicht?«
»Fluch über dich, du Tier! Heilige Maria, strafe ihn mit Schmerz und Pein. Lass ihn lange schreien auf dem Scheiterhaufen!«
Plötzlich klatschte etwas von außen gegen die Kiste. Es folgte ein Prasseln wie von Steinen und dann ein Rumsen, als hätte etwas Schweres den Verschlag getroffen. Der Lärm draußen war mittlerweile zu einem Orkan angeschwollen. Stimmen, Schreie, das Prasseln von weiteren Steinen, die Menge schien zu toben.
»Hört gefälligst auf!«, brüllte von irgendwoher der Anführer der Soldaten. »Dieser Mann wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen. Aber es wird der Landrichter sein, der ihn straft. Nicht ihr!«
Nepomuk zog die Beine ganz nah an den Körper und drückte seine Hände gegen die Ohren, um nichts mehr hören zu müssen. Trotzdem spürte er, wie die Kiste immer wieder getroffen wurde.
Mein Gott, dieser Verschlag ist gar kein Gefängnis, er dient zu meinem Schutz! , dachte er. Ohne die Kiste hätten mich die Leute wahrscheinlich schon längst in Stücke gerissen.
Erst nach einiger Zeit wurden die Erschütterungen weniger, schließlich hörten sie ganz auf. Als Nepomuk die Hände wieder herunternahm, war draußen nur noch das Quietschen der Wagenräder und Vogelgezwitscher zu hören. Drosseln, Finken und Amseln sangen im Wald um die Wette. Ein schm aler Streifen Sonne fiel durch ein Astloch im Bretterverschlag direkt auf Nepomuks Gesicht.
Es war ein wunderschöner Tag.
Doch mit einem leisen Donnern kündigte sich bereits das nächste Gewitter an.
Nur ein paar Stunden später zogen drei vermummte Gestalten durch die Gassen unterhalb des Klosters, sie duckten sich gegen den Regen, der von schräg vorne unablässig gegen ihre Wollumhänge prasselte. Ein Blitz zuckte vom Himmel, dicht gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Es war weit nach Einbruch der Dämmerung, und nur noch oben im Kloster brannten einige Lichter, sonst herrschte stockdunkle Nacht. Simon sah besorgt nach oben und kniff die Augen gegen den Regen zusammen.
»Hätten wir nicht ein wenig später erst aufbrechen können?«, murrte er. »Das ist die Sintflut! Wenn wir nicht aufpassen, werden wir noch hinunter ins Kiental gespült.«
Der Schongauer Henker blickte sich verächtlich nach ihm um. »Bist du aus Salz und löst dich auf? Das hier ist nur Wasser, kein Pech und auch kein Schwefel. Dein schöner Rock wird wieder trocknen, und das Leben geht weiter.«
Simon nieste demonstrativ. »Gesund ist es auf alle Fälle nicht, bei einem solchen Wetter durch den Regen zu stapfen.«
»Ihr hättet auch beim Schinder in seinem warmen Häuschen bleiben können«, knurrte Kuisl. »Wär ohnehin besser gewesen. Ein windiger Bader und meine eigene Tochter, was für ein Begleittrupp! Wenn ich jetzt ein paar meiner Männer aus dem Krieg bei mir hätt, wär mir bedeutend wohler.«
»Wir sind aber nicht im Krieg, sondern in Andechs!«, schimpfte Magdalena, die dicht hinter Simon ging und unter ihrem nassen Tuch kaum zu erkennen war. »Und wenn du ein anständiger Feldwebel wärst, dann hättest du deinen Trupp wenigstens in deine Pläne eingeweiht. Wer ist denn nun der verfluchte Hexer?« Sie redete sich immer mehr in Rage. »Himmelherrgott, seit gestern schon hältst du uns hin! Gib zu, es macht dir Spaß, uns so lange auf die Folter zu spannen.«
Jakob Kuisl grinste. »Lass deinem Vater doch die kleine Freude. Davon abgesehen ist es nur zu eurem Besten, nicht so viel zu wissen. Mitwisser leben in Andechs zurzeit gefährlich. Also werdet ihr euch noch ein klein wenig gedulden müssen.«
Schweigend folgten Simon und Magdalena dem Henker hinauf zum Kloster. Ihr Streit von heute Mittag war sofort vergessen gewesen, als Jakob Kuisl ihnen berichtet hatte, sie würden vielleicht noch heute Nacht den Hostiendieb entlarven. Der Schinder und sein stummer Geselle Matthias passten unterdessen auf die zwei schlafenden Buben auf. Magdalena hatte den
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