Der Hexer und die Henkerstochter
Wir bringen dich in die Weilheimer Fronveste, wo sich der Scharfrichter um dich kümmert. Draußen vor der Tür wartet schon deine vornehme Karosse.«
Die anderen Soldaten lachten. Sie zerrten den wimmernden und um sich schlagenden Mönch hinaus ins Freie, wo der Ochsenkarren mit dem hölzernen Kasten stand. Weiter hinten warteten der Wagen für die Soldaten und die Kutsche des Landrichters.
Nepomuk musste blinzeln, es war schon länger her, seit er zuletzt die Sonne gesehen hatte. Endlich erkannte er neben der Kutsche den Landrichter selbst. Er stand neben dem Prior, mit dem er offensichtlich gerade ein längeres Gespräch geführt hatte. Gemeinsam näherten sie sich nun dem vor Dreck starrenden Mönch. Nepomuk roch selbst seinen eigenen Unrat, in dem er vier Tage lang gelegen hatte.
»Das also ist der berühmte Hexer von Andechs«, sagte der Graf von Cäsana und Colle und musterte den Apotheker wie ein gefangenes seltenes Tier. Er zwirbelte seinen grauen Bart und wandte sich an den Prior.
»Es ist gut, dass Ihr Uns Bescheid gegeben habt. So etwas kann nicht Sache des Klosters bleiben. Es bedarf einer genaueren Untersuchung. Ich verstehe gar nicht, warum der Abt sich nicht schon früher an das Weilheimer Gericht gewendet hat.«
»Hochwürden Maurus Rambeck ist ein ausgezeichneter Gelehrter«, erwiderte der Prior achselzuckend. »Allein, es fehlt ihm manchmal an einer gewissen, nun ja … Übersicht.«
Graf von Cäsana und Colle nickte. »Ich verstehe. Nun, dafür finden wir sicher eine Lösung.«
Nepomuk hatte dem Gespräch bislang schweigend zugehört. Nun wandte er sich an seinen ehemaligen Vorgesetzten. »Bruder Jeremias«, flehte er. »Du kennst mich schon lange. Glaubst du wirklich, dass ich für diese Morde …«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle«, schnarrte der Prior. Seine Augen waren plötzlich eiskalt. »Ob du schuldig oder unschuldig bist, kann allein der Prozess entscheiden.«
»Aber die Sache ist doch schon entschieden!«, brach es aus Nepomuk heraus. »All diese Menschen hier haben sich doch bereits ein Urteil gebildet. Du weißt, was jetzt kommt, Bruder! Der Henker wird mich peinigen, du darfst das nicht zulassen. Bitte …«
Doch der Prior hatte sich bereits von ihm abgewandt und ging mit dem Grafen wieder hinüber zur Kutsche.
»Ich habe vollstes Vertrauen, dass das hohe Gericht von Weilheim zu einem gerechten Urteil kommen wird«, hörte Nepomuk Bruder Jeremias sagen. »Kann ich Seine Exzellenz noch zu einem Glas Wein in den Fürstensaal oben im Kloster überreden?«
»Liebend gern, Hochwürden. Aber ich fürchte, das müssen wir auf ein andermal verschieben«, erwiderte der Graf. »Wir haben noch einige ausstehende Steuern in den umliegenden Ortschaften einzutreiben. Ich bin sicher, wir werden uns bald wiedersehen. Vielleicht trinken wir den Wein ja dann schon im Zimmer des neuen Abts.«
Er lachte, und das Gespräch der beiden wurde leiser und leiser, je mehr sie sich entfernten. Nepomuk atmete tief durch, dann wandte er sein Gesicht dem blauen Himmel zu, über den ein paar weiße Wolken als Vorboten eines Gewitters zogen. Der Mönch wusste, es war vielleicht das letzte Mal, dass er einen solchen Himmel sah. Von nun an konnte ihm nur noch sein Freund Jakob helfen.
Nepomuk hoffte inständig, dass der Schongauer Henker mit seiner Vermutung recht hatte. Doch ihm war auch klar, wie gering trotz allem die Chance war, jetzt noch Folter und Scheiterhaufen zu entgehen. Die Meute hatte ihren Schuldigen gefunden, warum sollte man sich also noch große Gedanken um den wahren Täter machen? Noch dazu, wenn dieser Täter so einflussreich und mächtig war, wie Nepomuk annehmen musste.
Mit einem Mal wurde der Mönch ganz ruhig, das Zittern hörte auf, und er murmelte ein lautloses Gebet.
»Lieber Herrgott, du bist überall. Sei auch in mir, mach mich stark für das, was kommt. Gib dem Weilheimer Henker eine ruhige Hand und leuchte dem Schongauer Scharfrichter auf seinem Weg. Egal, was kommt, ich bitte um deinen Segen.«
»Auf geht’s, du hässliche Kröte! Das Feuer wartet schon.«
Laut krachend öffnete ein Soldat mit einem Brecheisen die Vorderseite der Kiste so weit, dass Nepomuk gerade hindurchpasste. Wie ein Schlachtkalb hoben sie ihn gemeinsam auf den Wagen und zwängten ihn in den Verschlag. Das Hämmern von Nägeln ertönte, dann herrschte um Nepomuk herum wieder Dunkelheit. Durch ein paar Ritzen an der Oberseite fiel gerade so viel Licht, dass er die Umrisse der Kiste
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