Der Hexer und die Henkerstochter
oft muss ich dir das noch sagen! Und dieser … dieser heruntergefallene Sack galt auch mir.«
»Welcher heruntergefallene Sack?«
Magdalena zögerte. Noch immer hatte sie Simon nichts von dem Kalksack auf dem Baugerüst erzählt, der sie vorgestern Nacht beinahe erschlagen hätte. Litt sie vielleicht doch nur unter Verfolgungswahn? Als sie ihm nun davon berichtete, schwieg Simon eine Weile und sah den Kindern beim Spielen zu. Schließlich wandte er sich mit entschlossener Miene an seine Frau.
»Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll«, sagte er leise. »Aber wenn du wirklich Angst hast, dann lass uns zurück nach Schongau gehen. Noch heute. Dort bist du sicher.«
»Und meinen Vater hier alleine lassen?« Magdalena schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage. Er wird langsam alt, und er braucht uns mehr, als er sich selbst eingestehen mag. Außerdem hast du selbst gesagt, dass du noch diesen verfluchten Bericht für den Abt verfassen musst, wenn wir uns nicht selbst verdächtig machen wollen. Also bleiben wir vorerst hier.« Sie riss eine Ähre aus und zerrupfte sie in ihre Einzelteile. »Mir wäre allerdings schon sehr geholfen, wenn sich der Herr Vater ein wenig mehr um seine Kinder kümmern würde. Erzähl den Buben lieber abends eine Gutenachtgeschichte und steck deine Nase nicht immer in die Bücher und die Angelegenheiten anderer Leute.«
Zornig trat Simon gegen einen Wackerstein am Feldrand. »Du tust ja fast so, als würde mir das Spaß machen«, schimp fte er. »Dabei helf ich doch auch nur deinem Vater!«
»Wenn’s nur hier in Andechs so wäre.« Magdalena blickte starr geradeaus, wo die Schwalben niedrig über die Felder flogen. »Aber in Schongau ist es doch genauso. Tagaus, tagein kümmerst du dich um die Kranken und vergisst dabei die Gesunden. In manchen Wochen wissen die Buben gar nicht mehr, wie du eigentlich aussiehst. Manchmal glaub ich, du bist gar nicht richtig da.«
»Das ist mein Beruf, Magdalena«, blaffte Simon zurück. »Du hast einen Bader geheiratet, keinen Bauern, vergiss das nicht. Der kann den ganzen Winter lang seinen Kindern Geschichten in der warmen Stube erzählen, aber krank werden die Leute immer. Tag und Nacht, zu jeder Jahreszeit.« Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Aber du kannst gern mit diesem stummen Matthias zusammenziehen. Den scheinen die Kinder ja ohnehin schon mehr zu mögen als mich. Und schimpfen kann er ohne Zunge auch nicht.«
»Mein Gott, wie kann man nur so bösartig sein!« Angewidert wandte Magdalena sich von ihm ab. »Dieser Mann hat als Kind im Krieg mehr durchgemacht, als du dir überhaupt vorstellen kannst! Und nur weil er stumm ist, muss er noch lange nicht dumm sein. Schau nur meinen Vater an. Der redet auch nur, wenn er was zu sagen hat. Nicht wie ihr siebengscheiten Studierten, die bloß reden, damit der Mund auf- und zugeht.«
»Ich hab dir schon hundertmal gesagt, vergleich mich nicht mit deinem sturschädligen Vater! Ich bin Arzt und kein Henker!«
»Und ich bin eine Henkerstochter.« Magdalena blickte grimmig geradeaus, wo die Kinder gerade ein leeres Vogelnest untersuchten. Aus der Ferne sahen sie noch kleiner und verletzlicher aus als ohnehin schon. »Und meine Buben sind die Enkel eines ehrlosen Henkers«, flüsterte sie. »So was klebt wie Pech an einem, das wird man niemals los. Niemals.«
In diesem Augenblick tauchte hinter dem Gerstenfeld eine flirrende Gestalt auf. Zunächst war sie im blendenden Sonnenlicht nur undeutlich zu sehen, doch als sie näher kam, gewann sie langsam an Kontur. Es war ein riesenhafter Mönch, der dort durch die Ähren schritt. Unwillkürlich musste Magdalena an den Schnitter Tod denken, der die Menschenhalme mit seiner Sense mäht.
Als Jakob Kuisl vor ihnen stand, bemerkte Magdalena in seinen Augen ein Feuer, das sie nur allzu gut kannte. Es war eine Mischung aus Stolz, Abscheu und Trotz. So sah er oft vor den Hinrichtungen aus.
»Ich hab mit dem Nepomuk geredet und mir ein paar Gedanken gemacht«, brummte der Henker und zerdrückte geistesabwesend ein paar Getreidekörner zwischen den Fingern. »Es ist so weit. Heute Nacht fangen wir den wahren Hexer.«
Unten in der Klostermeierei wurde krachend der Riegel zurückgeschoben. Gleich vier Weilheimer Soldaten drängten sich in den niedrigen stickigen Raum und blickten angewidert auf das zitternde Bündel zu ihren Füßen.
»Hoch mit dir, du Stück Vieh!«, zischte ihr Anführer. »Jetzt hat sich’s ausgeschlafen.
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