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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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blöd daher und gib mir irgendeinen Fetzen«, unterbrach ihn Kuisl. »Ich schreib keine Bibel, sondern nur einen Brief.«
    Sein Vetter zog die Augenbrauen hoch. »Einen Brief? An wen denn?« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Ach, an deine Anna-Maria natürlich! Richt doch der kranken Frau Gemahlin einen Gruß von mir aus.«
    »Das … das werd ich. Und jetzt das Stück Papier, schnell.«
    Jakob Kuisl zuckte kurz zusammen, als er an seine Ehefrau zu Hause dachte. Ob es Anna-Maria schon wieder besserging? Oder war der Husten etwa noch stärker geworden? Doch dann kehrten seine Gedanken wieder zurück zu Nepomuk. Wenn er recht hatte, konnte er seinen Freund vielleicht schon bald retten und nach Schongau zu seiner Frau zurückkehren. Schweigend folgte er dem Schinder ins Haus, wo ihm Michael Graetz stolz Papier, Feder und ein Tintenfass überreichte.
    »Hier, nimm«, sagte er. »Ist vom stummen Matthias. Der schreibt manchmal was auf, wenn ich ihn nicht versteh. Ich selber kann grad mal meinen Namen schreiben. Mehr braucht’s nicht, um den Viechern die Haut abzuziehen. Anders als ihr belesenen Henker, aber ihr zieht ja auch eher den Menschen die Haut ab.« Er lachte und begab sich wieder hinaus zu dem toten Kalb.
    Jakob Kuisl setzte sich derweil an den wackligen Tisch und begann mit sauberen, geraden Buchstaben ein paar Zeilen zu verfassen. Es war nur eine kurze Nachricht, hastig auf ein Stück Papier geschrieben, doch Kuisl hoffte, dass sie ihren Empfänger trotzdem aus seinem Versteck hervorlocken würde.
    Sorgfältig faltete er den Brief mehrmals und begab sich dann wieder hinauf zum Kloster, um ihn an der richtigen Stelle abzugeben.
    Es war eine Nachricht an den Hexer.
    Verfolgt von einem brummenden Untier rannte Magdalena mit den Kindern an den Gerstenfeldern unweit von Andechs entlang.
    Simon hatte sich Kornähren in die Ärmel geschoben, die wie lange Finger daraus hervorragten; er wackelte komisch mit dem Kopf und stieß in regelmäßigen Abständen ein tiefes Knurren aus. Grollend brach er durch ein niedriges Gebüsch am Feldrand.
    »Ein Bär!«, quiekte der dreijährige Peter und stolperte über seine eigenen kleinen Füße. »Der Vater ist ein böser Bär!«
    »Wohl eher ein dummer Tanzbär«, erwiderte Magdalena und half ihrem Ältesten auf. »Außerdem fehlt ihm zum Bären die richtige Größe.«
    Der jüngere Paul sah seinen Vater an, als wäre er sich noch nicht sicher, ob sich dieser nicht doch urplötzlich in ein Monstrum verwandelt hatte. Mit seinen von Holundersaft verklebten Fingern zeigte er auf Simon, der mittlerweile vor seinen Kindern kniete.
    »Papa, lieber Bär?«, fragte Paul ängstlich.
    Simon nickte und breitete lächelnd die Arme aus. »Der liebste Bär im ganzen Wald. Du brauchst dich nicht zu fürchten.«
    Nach der Ankunft des Weilheimer Landrichters hatten sie zu viert einen Spaziergang unternommen, der sie über die Felder rund um Andechs führte. Zum ersten Mal seit langem waren sie als Familie unter sich, ohne Pilger und ohne knurrigen Schwiegervater, der einmal mehr seine eigenen Pläne verfolgte. Die Junisonne schien mild vom Himmel, es roch nach dem Rauch eines fernen Köhler­feuers, hoch über den Feldern kreiste ein Bussard auf der Suche nach einer unvorsichtigen Maus. Bislang hatten die Kinder ausgelassen zwischen den Mohnblumen am Ackerrand getobt, doch als ihr Vater plötzlich als wütendes Untier zwischen den Ähren aufgetaucht war, war die Stimmung gekippt.
    »Wie kannst du den Kindern nur so einen Schrecken ein jagen!«, schimpfte Magdalena ihren Mann jetzt aus. »Schau dir den Paul an! Der ist immer noch wie zu Stein erstarrt!«
    »Tut mir leid. Ich … ich dachte, die Kinder freuen sich«, stammelte Simon und riss sich die Gerstenhalme aus der ­Jacke.
    »Bär? Papa Bär?«, fragte Paul erneut und hielt sich an seiner Mutter fest.
    »Ha, sieht das nach Freude aus?«, hakte Magdalena nach. »Heut Nacht kann er wieder nicht schlafen.«
    Simon hob entschuldigend die Hände zum Himmel. »Ist ja gut, ich habe verstanden. Soll nicht mehr vorkommen!« Er schüttelte den Kopf. »Was ist eigentlich mit dir los? So ängstlich kenn ich dich ja gar nicht.«
    »Vermutlich wärst du auch ängstlich, wenn irgendein Wahnsinniger ständig versucht, dich umzubringen.«
    Simon seufzte. »Dann glaubst du immer noch, dass dieser Schatten auf dem Turm und der Querschläger im Wald keine Zufälle waren?«
    »Himmelherrgott, das war kein Querschläger!«, fuhr ihn Magdalena an. »Wie

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