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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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erschöpft die Schläfen. »Vielleicht war es ja auch jemand ganz anderes, und wir sind auf dem Holzweg. Verflucht!«
    »Steht denn in diesem Buch nichts, was uns weiterhelfen könnte?«, fragte Magdalena ihren Mann. »Die halbe Nacht hast du darüber gesessen, während ich den Paul dreimal in den Schlaf gesungen hab!«
    Simon ignorierte den unterschwelligen Vorwurf. »Die Andechser Chronik ist in einem sehr altertümlichen Latein geschrieben«, erklärte er. »Das braucht eben seine Zeit. Bislang hab ich nur erfahren, dass hier einmal eine Burg der Grafen zu Andechs und Meranien stand, die später von den Wittelsbachern zerstört wurde. Seitdem sind sie das herrschende Geschlecht in Bayern, auch über Andechs. Deshalb hat dieser Graf Wartenberg ja einen der drei Schlüssel zur Reliquienkammer.«
    »Augenblick mal!«, rief Magdalena. »Könnte es nicht sein, dass sich die Wittelsbacher die Hostien unter den ­Nagel reißen wollen? Das muss sie doch ärgern, dass die Reliquien immer noch hier im Kloster sind, wo sie dieses Land doch schon vor Jahrhunderten in ihren Besitz gebracht haben.«
    »Tatsächlich haben die Wittelsbacher immer wieder versucht, die Reliquien nach München zu holen«, erwiderte Simon nachdenklich. »Vor ein paar Hundert Jahren waren die Hostien dort sogar für längere Zeit in der herzoglichen Kapelle aufbewahrt. Bis zu sechzigtausend Wallfahrer ­sollen da jede Woche gekommen sein. Hat bestimmt eine Menge Geld in den Stadtsäckel gespült. Aber der Graf als Hostiendieb?« Der Medicus wog den Kopf. »Ich weiß nicht. Wenn überhau pt, dann würde er jemanden damit beauftragen. Und was sollen die Hostien in München, wenn man sie nicht einmal öffentlich zeigen kann, weil sie ganz offensichtlich gestohlen wurden?«
    »War nur so ein Gedanke«, schmollte Magdalena. »Vielleicht fällt dir ja etwas Besseres ein.«
    »Kruzitürken, so kommen wir nicht weiter!«, mischte sich nun Jakob Kuisl ein, der bislang schweigend seine Pfeife gestopft hatte. »Wir tappen im Dunkeln wie ein Mann, der nachts den Weg zum Scheißhaus sucht. Ich sag euch, was wir machen.« Er deutete auf Simon. »Du findest mehr über diesen Grafen raus. Vielleicht ist der Gedanke meiner Tochter ja doch nicht so damisch, wie er sich zunächst anhört. Und ich werd in Gottes Namen noch mal in diese stinkende Mönchskutte schlüpfen und mich im Kloster umschauen.«
    »Und ich?«, fragte Magdalena neugierig.
    »Du kümmerst dich endlich einmal um deine Schrazn.« Mit der rauchenden Pfeife zwischen den Zähnen stand ­Jakob Kuisl auf. »Wird ohnehin Zeit, dass die Bälger gehorchen lernen«, nuschelte er und deutete in Richtung der Kinder. »So wie es ausschaut, graben sie eben einen Toten aus.«
    Tatsächlich waren die beiden Buben gerade damit beschäftigt, mit ihren Händen in der Erde eines frischen Grabs zu wühlen. Der kleine Peter hatte bereits eine beachtliche Mulde geschaufelt.
    »Nicht!«, schrie Magdalena und rannte auf die erschrockenen Kleinen zu, die sich keiner Schuld bewusst waren. Ihre Mutter zog sie eilig von dem Grab weg.
    »Seid ihr wahnsinnig!«, schimpfte sie. »Was ist, wenn die Mönche sehen, wie ihr Saububen einen ihrer Brüder …« Sie stockte, als sie den Namen auf dem Holzkreuz las, das hinter dem frischen Grabhügel in die Erde gesteckt war.
    Requiescat in pace, Filius Vitalis, 14 . 9 . 1648 – 15 . 6 . 1666
    Es war das Grab des jungen Uhrmachergehilfen.
    »Schau an«, sagte Magdalena leise. »Da hat man sich ja richtig beeilt, den Ärmsten unter die Erde zu bringen. Eine große Beerdigung kann das nicht gewesen sein.«
    Neben dem aufgeschütteten Erdhügel befand sich ein zweites frisches Grab. Es verwunderte Magdalena nicht, dass dort laut Holzkreuz der Novize Coelestin, der Gehilfe des Apothekers, begraben lag. Sie winkte Simon und ihren Vater herbei. Gemeinsam starrten sie einen Moment lang schweigend auf die beiden Gräber.
    »Verflucht!«, zischte Simon. »Sie müssen sie in aller Eile gestern begraben haben. Dabei wollte ich noch einmal die Wunden und dieses merkwürdige Phosphorleuchten untersuchen. Vielleicht habe ich beim ersten Mal ja etwas übersehen.«
    Magdalena gab den beiden Kindern einen Klaps und setzte ihnen nach, als sie über einen weiteren Grabhügel klettern wollten. »Das war bestimmt der Prior!«, rief sie im Vorbeilaufen. »Der will nicht, dass wir hier weiter herumschnüffeln. Aber das kann er vergessen.«
    »Zum Schnüffeln müsstet ihr jetzt jedenfalls gehörig tief graben«,

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