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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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knurrte Jakob Kuisl. Der Henker ließ seinen Blick über den Friedhof schweifen. »Im Übrigen wird hier in letzter Zeit verdächtig oft gestorben. Ich kann sechs, nein, sieben frische Gräber zählen.«
    »Das ist sicher dieses verfluchte Fieber«, erwiderte ­Simon achselzuckend. »Allein gestern sind zwei der Wallfahrer unter meinen Händen gestorben. Vermutlich hat man sie in aller Eile hier verscharrt, um jede Aufregung zu vermeiden.«
    »Und was ist mit diesem hier?«
    Jakob Kuisl ging ein paar Meter weiter und blieb vor einem frischen Grab stehen. Die Erde darauf war schwarz und feucht.
    »Was soll damit sein?«, fragte Simon. »Ein weiteres Grab, na und?«
    »Schau dir das Kreuz an.«
    Erst jetzt bemerkte der Medicus das schiefe Holzkreuz, das hinter dem Erdhügel fast verborgen war. Mit zusammengekniffenen Augen las er den Namen auf der Tafel.
    R. I. P., Pater Quirin, 7 . 12 . 1608 – 2 . 5 . 1666
    »Ich kann immer noch nicht erkennen, was daran un­gewöhnlich sein soll«, sagte Simon. »Der Mann ist im würdigen Alter von fast sechzig Jahren gestorben. Gott hat sich seiner angenommen, und …«
    »Die Erde darauf ist frisch«, unterbrach ihn Kuisl. »Wie kann sie frisch sein, wenn dieser Mann vor über einem Monat beerdigt wurde?«
    Simon blieb vor Staunen einen Moment der Mund offen stehen. »Ihr … Ihr habt recht«, flüsterte er. »Es sieht so aus, als wäre das Grab erst gestern ausgehoben worden.«
    »Oder man hat es noch einmal aufgeschaufelt. Schau.« Der Henker deutete auf eine Stelle am Rand des Grabs. »Hier ist bereits ein wenig Gras darübergewachsen, aber daneben ist die Erde schwarz und feucht. Außerdem gibt es Spuren.«
    »Spuren?«
    Simon beugte sich nach unten und erkannte, dass sich tatsächlich Schuhabdrücke am Rande des Grabs befanden. In einiger Entfernung verloren sie sich im hohen Gras.
    Plötzlich sah der Medicus etwas Weißes zwischen den Halmen leuchten. Als er sich danach bückte, hielt er ein vom Tau und Regen nasses Taschentuch in den Händen. Es war aus feinster Seide und hatte an einer Ecke ein winziges Monogramm aufgestickt.
    A.
    Simon zuckte zusammen, als ihm klarwurde, woran ihn dieser Buchstabe erinnerte.
    A für Aurora.
    »Mein Gott!«, flüsterte er. »Kann das sein?« Mit dem Taschentuch in der Hand eilte Simon zurück zum Henker und berichtete ihm, was er mittlerweile befürchtete.
    »Du meinst, dieses Tüchlein stammt wirklich von dem Automaten?«, fragte Jakob Kuisl skeptisch. »Dieser Golem soll letzte Nacht hier gewesen sein und hat nach dem Toten gegraben? Glaubst du das wirklich?«
    Simon rieb den nassen Fetzen nachdenklich zwischen seinen Fingern. Das Tuch roch noch leicht nach Parfum. »Ich weiß, das klingt verrückt«, sagte er. »Aber vielleicht ist an diesen Gerüchten über Golems doch etwas dran. Vielleicht spukt diese Puppe wirklich im Kloster.«
    »Schmarren!«, blaffte der Henker. »Ich glaub an das Böse, aber nicht an Geister. Böse sein können wir Menschen ganz allein, da brauchen wir keinen Spuk dazu. Wirst sehen, auch dafür wird es eine Erklärung geben.« Er zog so stark an der Pfeife, dass Simon die Glut knistern hören konnte. Der Medicus spürte förmlich, wie es in seinem Schwiegervater brodelte. So klang es oft, wenn der Henker nachdachte.
    »Und jetzt pack dieses verfluchte Tüchlein schleunigst weg, bevor du noch deine Frau damit narrisch machst. Die hat ohnehin eine Heidenangst wegen dieses sogenannten ­Hexers.« Kuisl stapfte hinüber zum Ausgang, wo Magdalena mit den Kindern bereits wartete.
    Mit einem leisen Schaudern steckte Simon das Taschentuch unter seinen Rock und lief dem Henker hinterher. Kaum hatten sie das Gatter hinter sich geschlossen, wären sie beinahe in den Schongauer Ratsherrn Jakob Schreevogl hineingerannt. Der Patrizier keuchte, er brauchte einige Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.
    »Hier seid Ihr also, Fronwieser!«, brachte er schließlich hervor. »Ich habe Euch bereits überall gesucht. Glücklicherweise hat Euch einer der Pilger unten an der Mauer erkannt. Ihr müsst sofort mitkommen.«
    »Gibt es denn neue Kranke?«, fragte Simon voller Vorahnung.
    Der Ratsherr nickte. »In der Tat. Diesmal ist es allerdings kein Geringerer als der Sohn des Grafen persönlich. Ihr solltet Euch beeilen, Fronwieser. Der Graf ist nicht besonders geduldig.« Jakob Schreevogl senkte die Stimme. »Und Gott verhüte, dass Euch der Knabe unter den Händen wegstirbt. Es sind schon ganz andere Ärzte wegen Kurpfuscherei gehenkt

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