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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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in ihm auf, es folgten weitere kleine Steine, außerdem ein paar matschige Rüben und Kohlköpfe. Und dann setzte ein wahrer Hagel aus unterschiedlichsten Geschossen ein.
    »Hier, friss, fette Kröte, friss!«, zeterte die Frau. »Friss, damit du groß und stark wirst für die Tortur!«
    »Weg da! Schert euch zum Teufel!« Die nun ertönende tiefe Stimme war die eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu geben. »Hört gefälligst auf. Ihr bringt ihn mir ja um!«
    Die Menge murrte, doch der Hagel endete. »Wir haben gutes Geld gezahlt, um den Hexer zu sehen!«, jammerte der Bärtige. »Und jetzt sollen wir ihn nicht mal bewerfen dürfen?«
    Mittlerweile wagte Nepomuk, wieder nach oben zu blicken. Die Fackel im Stroh war erloschen. Doch im fahlen Licht des Schachts erkannte der Mönch eine Gestalt, die ganz in Schwarz gekleidet war. Nur seine welligen, nach hinten gekämmten Haare waren schlohweiß, so als wäre der Mann weit vor seiner Zeit gealtert. Er mochte um die vierzig sein und trug ein enges Wams, das sein breites Kreuz und die starken Arme besonders zur Geltung brachte. Nun beugte er sich zu dem Loch hinunter und hielt eine Fackel in die Tiefe, so dass Nepomuk einen kurzen Blick auf seine Augen erhaschen konnte. Unwillkürlich zuckte er zurück. Die Augen des Mannes funkelten ebenso rot wie die Augen der Ratten unten in seinem Kerker, und ebenso bösartig. Der Unbekannte musterte ihn wie ein Stück Schlachtvieh.
    »Macht noch einen guten Eindruck«, brummte er. »Gott sei Dank.« Dann wandte er sich an die Menge, die sich offensichtlich irgendwo hinter ihm drängte. »Versaut mir bloß nicht mein Geschäft!«, sagte er drohend. »Wenn ihr ihn totschlagt, bekomm ich meinen Verdienst von euch. Und ich versprech euch, das wird nicht billig. Verstanden?«
    »Ist schon gut, Meister Hans«, meldete sich eine eingeschüchterte Stimme. »Wir … wir haben’s nicht so gemeint. Aber er ist doch ein Hexer, da machen ihm ein paar Lehmbrocken sicher nichts aus.«
    »Schmarren!«, zischte der weißhaarige Mann. »Glaubt mir, ich kenn die Zauberer. Wenn sie erst einmal im Loch stecken, schreien und bluten sie wie wir. Mir ist noch keiner davongeflogen.«
    Er warf einen letzten prüfenden Blick hinunter zu Nepomuk, so als taxierte er, wie viel er mit dem Schinden dieses Körpers verdienen konnte. Dann schob sich der Deckel über das Loch, der Streifen Licht wurde schmaler und schmaler. Schließlich war die Zelle wieder in vollständige Dunkelheit getaucht.
    »Kommt morgen wieder, Leute!«, hörte Nepomuk gedämpft die Stimme des Mannes durch das faule Holz hindurch. »Wenn es nach dem Landrichter geht, fangen wir schon morgen mit der Befragung an. Für einen Kreuzer pro Mann lass ich euch in den Hof, da könnt ihr den Hexer dann schreien hören.«
    Schritte ertönten, wurden leiser, schließlich war nur noch das höhnische Fiepen der Ratten zu hören.
    Morgen schon, Nepomuk! Morgen werden sie dir die ­Nägel ziehen und die Beine quetschen! Schlaf wohl, Nepomuk. Träum vom Paradies, denn schon morgen beginnt die Hölle.
    Der Mönch, der einst selbst ein Henker gewesen war, drehte sich zur Seite und weinte wie ein kleines Kind. Er wusste, dass er in den roten Augen des Weilheimer Scharfrichters seinen eigenen Tod gesehen hatte.
    Nepomuk hatte soeben Meister Hans kennengelernt.

Freitag, der 18. Juni Anno Domini 1666,
frühmorgens im Wald von Andechs
    chon in den frühen Morgenstunden ließen die Kuisls den Trubel hinter sich und spazierten an der Klostermauer entlang, die längs des Kientals nach Nordosten führte. Der Schongauer Henker trug seine beiden Enkel abwechselnd auf den Schultern, wo sie wie von einem schwankenden Schiff aus staunend hin­unter ins Tal schauten und ihren Großvater gelegentlich an den Haaren ­zogen. Simon und Magdalena gingen voraus. Vor allem die Henkerstochter sah sich dabei immer wieder vorsichtig um. Es war tatsächlich nicht einfach, an einem so belebten Pilgerort wie Andechs ein ungestörtes Plätzchen zum Reden zu finden.
    »Seitdem ich weiß, dass dieser Verrückte noch irgendwo frei rumläuft, hab ich keine ruhige Minute«, gestand sie seufzend. »Vielleicht hätten wir für unser Gespräch doch die Kirche oder die Taverne wählen sollen. Da ist wenigstens was los.«
    »Damit uns jeder belauschen kann?« Simon schüttelte den Kopf. »Solange wir nicht wissen, wer alles für diese merkwürdigen Vorfälle verantwortlich ist, ist es besser, wenn so wenige Menschen wie möglich etwas davon

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