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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Faszination aus. Steif und leblos waren sie wie anatomische Puppen, die Gott der Welt geschenkt hatte, um an ihnen das Wunder des menschlichen Körpers zu demonstrieren.
    »Bitte, bitte«, erwiderte Johannes. Jetzt erst nahm er das Okular ab und steckte es in seine Kutte. »Da Ihr offensichtlich so etwas wie ein Kollege seid, kann ein zweiter Blick ­sicher nicht schaden. Aber es ist wirklich nichts Ungewöhn­liches an ihm. Weiß gar nicht, wie viele Wasser­leichen ich bisher in meinem Leben gesehen habe.« Er seufzte und schlug ein Kreuz. »Der Mensch ist eben kein Fisch, sonst hätte ihm Gott Kiemen zum Atmen und Flossen zum Paddeln gegeben.«
    Neugierig schlug Simon das feuchte Leinentuch zur Seite und blickte in das weiße, leicht bläuliche Gesicht des ­jungen Coelestin. Irgendein mitleidiger Dorfbewohner hatte ihm die Augen geschlossen und zwei rostige Kreuzer daraufgelegt, doch sein Mund stand offen wie bei einem nach Luft schnappenden Karpfen. In den dünnen Haaren der Mönchstonsur klebten Laub und Algenreste, grüne Schmeißfliegen umkreisten summend den stinkenden Leichnam. Der tote Novize trug noch immer seine Kutte, die wie ein nasser Sack an seinem Körper hing.
    »Ich wollte mit ihm noch eine Weile alleine sein«, sagte Frater Johannes mit belegter Stimme. »Er war immerhin über zwei Jahre mein treuer Gehilfe. Wir haben viel gemeinsam erlebt, Schönes und auch Hässliches …« Er schluckte. »Aber jetzt werd ich wohl hinaufmüssen zum Abt. Also nehmt bitte Eure Kräuter und …«
    »Da sind Flecken.«
    »Was?« Irritiert sah Frater Johannes den Medicus an, der auf eine Stelle am Schlüsselbein des Toten deutete.
    »Hier sind blaue Flecken. Sowohl an der linken wie auch an der rechten Schulter.« Mit einem Ratschen riss Simon die nasse Kutte auf. »Und hier am Brustbein auch.«
    »Wird er sich halt beim Sturz ins Wasser geholt haben«, warf der Mönch ein. »Was sagt das schon?«
    »Blaue Flecken bei einem, der ins weiche Wasser fällt?« Simon runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht.« Akribisch begann er, die Leiche weiter zu untersuchen, bis er schließlich am Hinterkopf fündig wurde.
    »Dachte ich’s mir doch«, murmelte er. »Eine dicke Beule. Jemand hat Eurem Gehilfen ganz offensichtlich einen hef­tigen Schlag versetzt. Vermutlich hat man ihn dann so lange unter Wasser gedrückt, bis er ertrank.«
    »Mord?«, hauchte Frater Johannes. »Glaubt Ihr das wirklich?«
    Simon zuckte mit den Schultern. »Ob Mord oder Totschlag vermag ich nicht zu sagen, aber auf alle Fälle war eine zweite Person mit im Spiel. Vielleicht eine Wirtshausschlägerei? Ein Raubmord?»
    »Unsinn! Ein Mönch prügelt sich nicht. Außerdem, war­um sollte …« Johannes brach ab und schüttelte seinen feisten Schädel wie ein störrischer Ochse. »Natürlich gibt’s immer wieder Gesindel hier in der Gegend. Aber der gute Coelestin war doch nichts weiter als ein kleiner Novize in einer dünnen Kutte! Der hatte nichts dabei, kein Geld, keine Wertsachen.« Der dicke Mönch hob den Finger, und seine Stimme bekam etwas Singendes. »Wie heißt es so schön in einer weiteren Regel des heiligen Benedikt? Keiner habe etwas als Eigentum. Überhaupt nichts, kein Buch, keine Schreibtafel, kein Griffel, gar nichts. Wer also sollte Coelestin Böses wollen?«
    »Hatte er denn Feinde unten im Ort oder hier im Kloster?«, wollte Simon wissen.
    Frater Johannes lachte so laut, dass sein runder Bauch auf und ab wippte. »Feinde? Bei Gott, wir sind Mönche! Wir hüten unsere Zunge, wir stehlen nichts, und so der Himmel will, steigen wir auch keinem Weib nach. Was also soll diese Fragerei?« Mit einem Mal wurden seine Augen zu schmalen Schlitzen. »Aber ich sage Euch etwas, Herr Bader. Wenn Ihr Euch Eurer Sache so sicher seid, dann kommt doch mit zum Abt und klärt ihn auf. Bruder Maurus ist ein kluger, belesener Mann. Soll er doch entscheiden, wie der junge Coelestin zu Tode kam.« Grimmig stapfte er zur Tür hinaus. »Wenn der Abt Euch recht gibt, könnt Ihr Euch in meiner Apotheke bedienen, ganz so, als wär’s Eure eigene«, brummte er. »Darauf habt Ihr mein Wort. Und jetzt los, bevor mein Novize noch von diesen verfluchten Schmeißfliegen aufgefressen wird.«
    Leise fluchend rannte Simon hinterher. Das hatte er nun von seinem losen Mundwerk! Und dabei wollte er doch eigentlich nur auf dem schnellsten Weg zurück zu Magdalena.
    Als der Medicus sich ein letztes Mal umwandte, flog eine der Fliegen gerade laut summend in Coelestins Mund.

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