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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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gehört hätte, es ist nur …«
    Aber Frater Johannes war bereits im Dunkel des Apothekerhauses verschwunden. Achselzuckend folgte ihm Simon und betrat einen niedrigen Raum, der von einem halben Dutzend traniger Kerzen erhellt wurde. Ein schmaler Streifen Licht fiel durch die Fensterläden auf einen gewaltigen Apothekerschrank an der gegenüberliegenden Seite. Unzählige kleine Schubladen ragten daraus hervor, alle bestückt mit winzigen handbemalten Schildern aus Pergament. Sie verströmten einen betörenden Duft nach Kräutern. Simon roch Salbei, Rosmarin, Ringelblumen und Kamille. Allerdings glaubte er, dazwischen einen anderen, süßlichen Geruch wahrzunehmen, der ihn kurz würgen ließ. Es roch beinahe wie …
    »Was sagtet Ihr noch mal, braucht Ihr für Eure Frau?«, fragte Frater Johannes abrupt. »Gänsefingerkraut?«
    »Äh ja, und Anis.« Der Medicus wandte sich wieder dem hässlichen Mönch zu. »Sie hat Leibzwicken, und ihr ist übel. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.«
    »Das möge Gott verhüten. Nun lasst mal sehen …« Frater Johannes klemmte sich ein Okular in das rechte Auge, was sein ohnehin furchterregendes Gesicht noch ein wenig furchterregender machte. Dann schritt er nachdenklich den Schrank ab und zog schließlich eine Schublade in Augenhöhe auf. Den Streit mit dem kleinen Mönch schien er mittlerweile vergessen zu haben. »Bei Magengrimmen ist Gänsefingerkraut wirklich ein hervorragendes Mittel«, brummte er und holte ein Bündel Kräuter hervor. »Wobei ich eher Leberwickel und eine Mischung aus Enzian, Tausendgüldenkraut und Wermut bevorzuge. Wisst Ihr denn, in welchen Dosen Ihr die Kräuter verabreichen müsst? Bedenkt immer: Dosis facit  …«
    » Venenum . Die Dosis macht das Gift. Ich weiß.« Simon nickte und streckte die Hand zum Gruß aus. »Verzeiht, wenn ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Simon Fronwieser. Ich bin der Bader aus dem kleinen Schongau, ­jenseits des Hohenpeißenbergs. Paracelsus’ Spruch von der richtigen Dosis predige ich meinen Patienten beinahe jeden Tag.«
    »Ein Bader, der Latein spricht?« Frater Johannes lächelte und drückte die Hand seines Gegenübers. Der Griff des Mönchs war so hart, als hätte er sein Leben lang den Hammer am Amboss geschwungen. Mit dem Okular im Auge glich er einem unförmigen Zyklopen. »Das kommt nicht allzu oft vor. Dann kennt Ihr wohl auch das ›Macer floridus‹, in dem die 85 wichtigsten Heilpflanzen aufgeführt sind?«
    »In der Tat.« Simon nickte und stopfte die getrockneten Kräuter in seinen Lederbeutel. »Ich habe in Ingolstadt Medizin studiert. Leider war es mir nicht vergönnt, eine Stelle als Arzt anzutreten. Die … äußeren Umstände waren nicht entsprechend.« Er zögerte. Der Mönch musste nicht wissen, dass ihm wegen Spielschulden und teurer Kleidung damals das Lehrgeld ausgegangen war.
    Anerkennend sah der Medicus sich in dem dämmrigen Raum um. Alles hier war exakt so, wie er es sich für seine eigene Arztstube gewünscht hätte. Der große Apothekerschrank, daneben ein Schreibpult, an den Wänden schwere Eichenholzregale mit Tiegeln und Tinkturen. Ein niedriger Durchgang führte in einen weiteren Raum, der offenbar als Laboratorium diente. Simon erkannte im Zwielicht ­einen Kamin, in dem ein paar Scheite vor sich hin glimmten, auf dem Sims standen einige rußige Glaskolben. Davor befand sich ein gewaltiger Tisch mit einer Marmorplatte, auf der etwas Langes, Unförmiges lag, das nur notdürftig von einem fleckigen Leintuch verdeckt wurde.
    Am unteren Ende des Tuchs schaute ein einzelner bleicher Fuß heraus.
    »Mein Gott!«, hauchte Simon. »Ist das …«
    »Mein Gehilfe Coelestin«, seufzte der Frater und rieb sich die von Schweiß nasse Stirn. »Bauern haben ihn mir heute kurz vor Sonnenaufgang vorbeigebracht. Der Unglückliche sollte mir gestern Abend einen Karpfen aus dem Weiher unten am Waldrand bringen. Und was macht der Schafskopf? Fällt vom Steg und ersäuft wie ein junges Kätzchen. Und dann kommt auch noch dieser Scharlatan von Virgilius vorbei und …« Er brach ab und schüttelte den Kopf, ganz so, als müsste er einen bösen Traum vertreiben.
    Vorsichtig trat Simon einen Schritt in das Laboratorium und schnupperte. Jetzt konnte er sich auch den süßlichen Geruch von vorhin erklären.
    Es war der Gestank beginnender Verwesung.
    »Darf ich?«, fragte der Medicus zögerlich und deutete auf die Leiche unter dem Tuch. Von Toten ging für Simon immer eine eigenartige

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