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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zu einem halben Dutzend Gottesdienste. Die ersten Wallfahrer strebten bereits auf das mit Gerüsten umstellte Eingangsportal der Kirche zu.
    Skeptisch sah Kuisl zu dem noch immer offenen Dach und der aus frischen Balken gezimmerten Turmspitze empor. So wie es derzeit um das Gebäude bestellt war, würde es wohl nicht bis zum Dreihostienfest fertig. Vor allem dann nicht, wenn die Maurer gleich reihenweise wegen dieser mysteriösen Krankheit das Bett hüten mussten. Kuisl hatte gehört, dass immer mehr Männer von der Baustelle mit Fieber da­niederlagen.
    Soeben betrat eine größere Gruppe Benediktiner die Kirche. Der Henker wollte ihnen schon folgen, aber dann fiel ihm ein, dass dies ein günstiger Zeitpunkt war, die Zellen der Mönche aufzusuchen. Vielleicht ließ sich ja in den Schlafkammern und den übrigen Wohnräumen des Klosters irgendetwas herausfinden, was ihn weiterbrachte.
    Den Kopf tief gesenkt wie zum Gebet, eilte Kuisl durch die innere Pforte in den Klosterhof und von dort weiter durch ein offen stehendes Portal in den Osttrakt des dreistöckigen Gebäudes. Der Henker hatte zwar keine Ahnung, wo die einzelnen Zellen der Mönche lagen, doch glücklicherweise waren die meisten Klosterräume jetzt während der Messe leer. Nur ein uralter Mönch fegte mit gebeugtem Rücken das Refektorium, wo die Brüder dreimal täglich ihre Speisen einnahmen. Der Greis bemerkte ihn nicht, und so ging Kuisl weiter durch die Gänge, mono­ton seine lateinischen Gebete murmelnd: »Dominus pascit me nihil mihi deerit, in pascuis herbarum adclinavit me …«
    Von fern waren die Orgel und die Gesänge der Gläubigen zu hören, die jedoch merklich leiser wurden, je mehr Kuisl sich von der Kirche entfernte.
    Das Kloster war ein trutziges Geviert mit einem Innenhof, den Kuisl verschwommen durch die hohen Butzenglas­fenster erkennen konnte. Der Henker hatte beschlossen, sich zunächst im Erdgeschoss umzusehen und sich dann durch die weiteren Stockwerke nach oben zu arbeiten. So lange, bis er etwas gefunden hatte oder erwischt wurde. Trotz seiner Verkleidung und der gemurmelten Gebete machte sich Jakob Kuisl keine Illusionen: Sollten ihn die Mönche in einer der Klosterzellen entdecken, würde er schon eine sehr gute Ausrede brauchen, um wieder freizukommen.
    Mittlerweile hatte er über mehrere Gänge das Geviert zur Hälfte umrundet. Noch immer hatte er keinen Raum ge­sehen, der ihn bei seiner Suche weitergebracht hätte. Er passierte das Museum Fratrum, einen stuckverzierten Raum mit kleinen Putten an der Decke und gepolsterten Sitznischen, der den Laienbrüdern zur Muße und zum ­Beten diente; außerdem die Küche und eine kleine Haus­bibliothek, die aber nur über eine magere Auswahl kirch­licher Schriften verfügte.
    Als Jakob Kuisl schon fast aufgeben und in den ersten Stock hinaufgehen wollte, tat sich vor ihm plötzlich ein weiterer Gang auf, von dem in regelmäßigen Abständen niedrige hölzerne Türen wegführten. Im Gegensatz zum Prunk in den vorherigen Räumen wirkten sie auffällig schlicht.
    Kuisl drückte die Klinke der ersten Tür und bemerkte erleichtert, dass sie nicht verschlossen war. Schon der erste Blick genügte ihm, um festzustellen, dass sein Eindruck ihn nicht getäuscht hatte. Dies hier war eindeutig eine Mönchszelle.
    Im Inneren des kargen höhlenartigen Raums befanden sich nichts weiter als ein Bett, eine Truhe und ein Schemel unter einem grob geschreinerten Tisch. Darauf lagen neben einem mit ausgelaufenem Wachs verklebten Kerzenstummel einige pergamentene Unterlagen. Als Kuisl sich darüber beugte, erkannte er, dass es sich um Aufzeichnungen über Klostereinkäufe handelte. Aufgelistet waren die Kosten von Holzbalken, Nägeln, Ziegel und Mörtel. Auch eine Fuhre Steine war verzeichnet.
    Ein Grinsen zog sich über das Gesicht des Henkers. Es handelte sich offensichtlich um die Bilanzen der Klosterbaustelle. Und für Geldangelegenheiten war bei den Mönchen eigentlich immer der Cellerar zuständig. Tatsächlich entdeckte Kuisl schon bald die Unterschrift des klöster­lichen Verwalters.
    Gott zum Gruß, Pater Eckhart! Ihr habt sicher nichts dagegen, dass ich mich mal kurz umschaue?
    Der Henker warf einen weiteren flüchtigen Blick auf die Unterlagen, konnte aber nur noch mehr Bilanzen und Abrechnungen entdecken. Schließlich wandte er sich der Truhe zu. Zu seiner großen Freude war sie nicht abgeschlossen. Allerdings war der Inhalt doch sehr übersichtlich. Kuisl stieß auf eine zweite

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