Der Hexer und die Henkerstochter
armen Kreaturen mindestens der Scheiterhaufen drohte, wenn sie nicht sogar lebendig begraben wurden.
In diesem Augenblick vernahm der Henker Schritte auf dem Gang, die sich langsam näherten. Schnell packte er die Briefe zurück in die Truhe, schob den doppelten Boden darüber und schloss den Deckel. Doch als er hinaus in den Gang eilen wollte, merkte er, dass es dafür bereits zu spät war. Die Schritte waren beinahe bei ihm angelangt, nun konnte man auch vereinzelte Gesprächsfetzen hören. Offensichtlich handelte es sich um zwei Männer. Kuisl stellte sich hinter die Tür und hoffte, dass die Männer vorübergehen würden.
Dummerweise blieben sie genau vor der Tür stehen.
»Was fällt dir ein, mich während der Messe für ein Gespräch zu entführen!«, vernahm Kuisl eine krächzende Stimme. »Lass dir einen guten Grund einfallen, Laurentius, warum ich die heilige Kommunion verpasse.«
Eine weiche, weinerlich klingende Stimme antwortete: »Bruder Benedikt, ich weiß nicht, wem ich noch trauen kann. Ich habe dir doch von der Melodie dieses Automaten erzählt.«
»Und, was ist damit?«, kam es barsch zurück.
»Ich habe sie wieder gehört, an genau derselben Stelle! Du weißt, was das bedeutet. Diese Puppe, sie ist irgendwo dort unten!« Die weiche Stimme wurde so leise, dass Kuisl sie fast nicht mehr hören konnte. »Und sie sucht uns, Benedikt! Sie weiß, was wir verbrochen haben.«
Jakob Kuisl zuckte zusammen. Wenn er die Namen der Männer richtig verstanden hatte, standen direkt vor der Tür niemand anders als der Bibliothekar Benedikt und der Novizenmeister Laurentius! Er hielt den Atem an und betete, dass die beiden nicht in die Zelle wollten.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, entgegnete nun Pater Benedikt. »Außerdem ist doch längst erwiesen, dass Johannes die Morde auf dem Gewissen hat. Das mit dem Golem haben wir doch nur verbreitet, damit keiner während des Fests dort unten rumschnüffelt. Und jetzt glaubst du schon selbst daran, du Narr! »
»Und die Hostien?« Pater Laurentius lachte verzweifelt. »Die hat Johannes wohl mit Geisterhänden von seinem Kerker aus gestohlen? Ich sage dir, das war der Golem, dieser verfluchte Automat von Virgilius!«
»Unsinn!«, blaffte der Bibliothekar. »Vielleicht hat Johan nes ja einen Komplizen gehabt, was weiß ich? Es gibt jedenfalls einen Täter, und damit ist es gut. Die Hostien sind das geringste Problem. Wir werden sie einfach durch an dere ersetzen, und dann können wir in Ruhe weitermachen.«
»Du vergisst die Monstranz. Auch sie ist verschwunden. Die Leute wissen, wie sie aussieht.«
Jakob Kuisl musste sichergehen, dass die Männer hinter der Tür auch wirklich die waren, die er vermutete. Er beugte sich hinunter zum Schlüsselloch. Tatsächlich sah er nun durch die winzige Öffnung hindurch den alten Bibliothekar, der sich mit seinen gichtigen Fingern gerade nachdenklich über die Lippen rieb.
»Die Monstranz stellt allerdings eine gewisse Schwierigkeit dar«, murmelte er. »Wir werden so schnell keine ähnliche auftreiben. Aber ich bin sicher, dass das im allgemeinen Trubel des Fests untergehen wird.«
»Wie kann man nur so kalt bleiben!« Jetzt konnte Jakob Kuisl auch den Novizenmeister erkennen, der händeringend im Gang auf und ab schritt. »Zwei Männer sind tot, wahrscheinlich sogar drei, und unter uns treibt ein Monstrum sein Unwesen! Wir hätten diese Keller niemals nutzen dürfen! Nun wird alles ans Licht kommen!«
»Nichts wird ans Licht kommen, wenn du Ruhe gibst!«, zischte Pater Benedikt. »Außerdem kann uns ohnehin nichts geschehen. Den Zugang zu den Katakomben haben Bruder Eckhart und ich gestern eigenhändig mit einer schweren Steinplatte verschlossen, nur zur Sicherheit. Da kommt nichts mehr raus, egal, was dort unten ist.«
»Du weißt, es gibt andere Eingänge«, warf Laurentius ängstlich ein. »Auf den Plänen sind sie verzeichnet. Können wir diese Eingänge nicht auch versperren?«
Pater Benedikt zuckte mit den Schultern. »Das wird schwer möglich sein. Die Pläne sind verschwunden.«
»Verschwunden?« Bruder Laurentius hob die Hände zum Himmel, sein Gesicht war nun kalkweiß. »Warum in Gottes Namen sind die Pläne verschwunden?«
»Verflucht, ich weiß es nicht!«, erwiderte Benedikt barsch. »Ich hatte sie in meiner Kammer, zusammen mit vielen anderen Büchern und Unterlagen. Als ich gestern nach ihnen sah, waren sie weg! Ich hatte schon einen von euch in Verdacht, oder vielleicht
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