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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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auf den neuen Patienten, und endlich konnte auch der Medicus einen Blick auf den Mann werfen. Simon zuckte zusammen, als er ihn schließlich unter all dem Schmutz und Blut erkannte.
    Es war kein anderer als der Novizenmeister Pater Laurentius.
    Schon nach wenigen Augenblicken wusste Simon, dass der Mönch vor ihm nicht mehr lange zu leben hatte. Sein Atem ging flach, das Gesicht war eingefallen wie das eines Sterbenden. Wesentlich erschreckender waren allerdings die Wunden, die sich über seinen ganzen Körper zogen. Die Kutte war an vielen Stellen verbrannt, darunter zeigten sich schwärz­liche Stellen, wo einmal Haut und Fleisch gewesen waren. Es dauerte nur kurz, bis Simon klarwurde, wo er diese Art von Verletzung schon einmal gesehen hatte: am Körper des jungen Vitalis, den irgendein dunkles, abgrundtief böses Wesen mit dem Höllenpulver Phosphor bestreut hatte.
    Tatsächlich waren auch diese Verbrennungen so stark und so zahlreich, dass sich der Medicus fragte, wie Pater Laurentius überhaupt noch leben konnte. Der Mönch stöhnte leise vor sich hin, immer wieder schien er ein einzelnes Wort zu murmeln. Erst nach einer Weile hörte Simon heraus, dass Laurentius nach Wasser verlangte. Offensichtlich war er noch bei Sinnen.
    Eilig griff Simon sich einen mit verdünntem Wein gefüllten Beutel und träufelte dem Verletzten Tropfen für Tropfen zwischen die spröden Lippen.
    »Was ist passiert?«, fragte er die umstehenden Benediktiner, die sich immer wieder bekreuzigten und teilweise auf die Knie gefallen waren.
    »Wir … wir haben ihn im Wald gefunden«, flüsterte einer der Brüder. »Unten im Ochsengraben, im Kiental. Neben … dem hier.« Er zog einen löchrigen Sack hervor, an dem Flecken von getrocknetem Blut klebten.
    »Und?«, fragte Simon und deutete auf den verschlissenen Beutel. »Habt ihr bereits hineingesehen, was drin ist?«
    Ein anderer, sehr junger Mönch schüttelte zögernd den Kopf. »Wir … wir wagen es nicht. Es ist etwas Schweres, vielleicht eine dieser Eisenstangen, mit denen der unselige Frater Johannes immer unterwegs war. Bestimmt hat der neugierige Laurentius den Sack geöffnet, und ein Feuerstrahl …«
    »Gib schon her, du abergläubische Kröte.« Ungeduldig ließ sich Simon den Sack reichen und öffnete ihn vorsichtig. Was er sah, ließ ihn unwillkürlich zurückweichen. »Mein Gott!«, flüsterte er. »Wie ist das möglich?«
    Neugierig kamen die Mönche ein Stück näher. Als sie schließlich erkannten, was sich in dem Beutel befand, fielen sie allesamt auf die Knie und schlugen mehrfach ein Kreuz.
    Zwischen dem fleckigen Stoff leuchtete silbern eine kunstfertig gearbeitete Monstranz. Sie war der Turmspitze eines Doms nachempfunden, zwei Engel wachten links und rechts einer handgroßen Kuppel, in der sich drei runde versiegelte Gefäße befanden.
    Drei Gefäße für drei heilige Hostien.
    »Gesegnet seist du, Jesus Christus! Die heilige Monstranz, die heilige Monstranz! Sie ist hier unter uns!« Die Mönche warfen sich jetzt bäuchlings auf den Boden und murmelten ihre Gebete. Auch die Kranken, die bei Bewusstsein waren, fielen in den Sermon ein. Erst jetzt wurde Simon klar, dass die einfachen Brüder und Pilger ja gar nicht wussten, dass die wertvollste Reliquie des Klosters vor ein paar Tagen gestohlen worden war. Für sie war diese Monstranz in einem Leinensack, gefunden neben einem Schwerverletzten, schlicht ein göttliches Zeichen. Ein Zeichen jedoch, von dem sie nicht sagen konnten, ob es Gutes oder Schlechtes verhieß.
    »Holt den Abt und den Prior!«, rief einer von ihnen. »Sie sollen das Wunder mit eigenen Augen sehen.«
    Der jüngste der Mönche öffnete die Tür und rannte hinaus, der immer noch wartenden Menge entgegen. »Die Mon­s­tranz! Sie ist dort drin, ein Wunder! Sie ist von allein aus der Heiligen Kapelle in den Wald geflogen. Ein Wunder!«, schrie er immer wieder.
    Simon seufzte und verschloss erneut den Eingang mit dem schweren Riegel. Spätestens in einer Stunde würden wohl sämtliche Gläubige von hier bis zum Hohen Peißenberg von dem seltsamen Fund erfahren haben. Nun, wenigstens war das gute Stück wieder aufgetaucht. Welche Rolle der Novizenmeister allerdings dabei spielte, war ihm noch völlig unklar.
    Simon eilte erneut an das Bett des Schwerverletzten, der mittlerweile in eine Art Dämmerschlaf gefallen war. Als der Medicus sich über ihn beugte, öffnete Laurentius plötzlich die Augen und fing erneut an zu murmeln. Simon musste sich tief

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