Der Hexer und die Henkerstochter
zum Mund des Mönchs hinabbeugen, um etwas verstehen zu können.
»Der … der Automat …«, röchelte er. »Er ist dort unten. Feuer … Feuer …«
Simon spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er erinnerte sich an das weiße Taschentuch mit dem Monogramm auf dem Friedhof. Konnte es tatsächlich sein, dass ein belebter Golem in Andechs sein Unwesen trieb? War so etwas möglich? Zitternd fühlte er nach Laurentius’ Stirn. Sie war glühend heiß. Vielleicht sprach der Mönch ja nur im Fieberwahn.
»Redet Ihr von Virgilius’ Automaten? Was meint Ihr mit ›dort unten‹?«, fragte Simon ungeduldig. »Habt Ihr auch die Monstranz von dort? Sprecht doch endlich!«
»Der … der Automat … er hat sie gehabt … Er spuckt Feuer, weißes Feuer … Flammen greifen nach mir, Höllenflammen, das Fegefeuer tobt durch die Finsternis …«
Die Stimme des Novizenmeisters wurde schwächer und schwächer. Schließlich verstummte sie ganz, und sein Kopf fiel zur Seite. Simon fühlte nach dem Herzschlag, noch war er schwach vernehmbar. Doch der Medicus bezweifelte, dass Laurentius die nächsten Stunden überleben würde. Die Verbrennungen waren einfach zu stark.
»Im Namen der Kirche, öffnet diese Tür!«
Ungeduldiges Klopfen ließ Simon herumfahren. Einer der Mönche hatte bereits den Balken zurückgeschoben, die Pforte schwang auf, und herein traten der Prior und der alte Bibliothekar. Vom Abt war zu Simons Erstaunen nichts zu sehen.
Sofort eilten die beiden Kirchenoberen auf die Monstranz zu, die ein besorgter Mitbruder mittlerweile auf eine kleine Truhe gestellt hatte. Wie vor einem Altar fiel Pater Jeremias vor dem schlichten Holzkasten auf die Knie und hob die Hände zum Himmel.
»Heilige Maria Mutter Gottes, lasst uns für dieses Wunder danken!«, begann der Prior in einem leiernden Singsang. »Verruchte Diebe haben versucht, die heilige Monstranz zu stehlen, doch sie sind mit göttlichem Feuer bestraft worden.« Er deutete auf den ohnmächtigen Pater Laurentius und malte anschließend mit den Fingern ein Kreuzzeichen in die Luft.
»Nun endlich kommen ihre bösen Pläne ans Licht!«, fuhr er mit sich überschlagender Stimme fort. »Frater Johannes und dieser unselige Novizenmeister haben gemeinsam Unheil über das Kloster gebracht, doch Gott selbst hat sie gerichtet. Jetzt wendet sich wieder alles zum Guten. Dafür lasst uns danken. Amen!«
»Amen.« Murmelnd fiel der Chor aus Mönchen und Kranken ein in das Dankesgebet, während Simon irritiert zwischen der Monstranz und dem schwerverletzten Pater Lau rentius hin und her blickte. Sollte der Novizenmeister wirk lich der von ihnen gesuchte Hostiendieb sein? Hatte Laurentius den Bruder des Abts entführt? Und überhaupt – wo war Maurus Rambeck?
Als die Stimmen der Gläubigen endlich verstummt waren, wandte sich Simon leise an den Prior. »Eigentlich hatte ich erwartet, den Abt hier anzutreffen. Schließlich dürfte es ihn auch interessieren, dass die Monstranz im Wald aufgefunden wurde – zusammen mit dem Novizenmeister, den Ihr als Hauptverdächtigen nennt.«
»Der Abt ruht«, entgegnete der Prior kühl. »Es ging ihm in letzter Zeit nicht besonders gut, wie Ihr sicher wisst. Ich hielt es für das Beste, ihn nicht zu wecken.«
Und dich selber zum großen Retter der Heiligen Drei Hostien aufzuschwingen! , ging es Simon durch den Kopf. Du intrigantes Schwein tust wirklich alles, um so schnell wie möglich der nächste Abt zu werden.
»Was macht Euch denn so sicher, dass Pater Laurentius wirklich die Hostien stehlen wollte?«, hakte Simon nach.
Der greise Bibliothekar, der bislang schweigend neben dem Prior gestanden hatte, räusperte sich. »Ich bitte Euch, das liegt doch auf der Hand!«, sprach er so laut, dass alle Umstehenden mithören konnten. »Der Sack mit der Monstranz lag neben ihm; er selbst trägt Wunden, die ihm nur auf überirdische Art zugefügt werden konnten.«
»Nebenbei die gleichen Wunden, die auch der junge Novize Vitalis hatte«, fuhr Simon dazwischen. »Hat den etwa auch der liebe Herrgott mit seinem Zorn niedergestreckt?«
Pater Benedikt sah ihn mit stechenden Augen an. »Spottet nicht«, drohte er. »Denkt lieber an die Offenbarung des heiligen Johannes. Wie heißt es dort noch mal?« Er machte eine dramatische Pause, bevor er seine Stimme durch den Raum dröhnen ließ. »Und der Engel nahm das Räucherfass und füllte es mit Feuer vom Altar und schüttete es auf die Erde. Und da geschahen Stimmen und Donner und
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