Der Hexer und die Henkerstochter
verformte Silberknauf noch immer zu erkennen.
»Das dürfte wohl Beweis genug sein«, sagte Benedikt und warf den Stock angewidert in die blühende Wiese. Die zwei Benediktiner, die ihn begleitet hatten, wichen erschrocken zur Seite. »Ich bin froh, dass wir diese grausigen Morde nun endlich aufgeklärt haben«, fuhr der Bibliothekar fort. »Die Leute brauchen also keine Angst mehr vor einem Golem in tiefen Verliesen, einem Automaten in der Klostergruft oder was auch immer zu haben. In seinem Hass auf den Kollegen hat Frater Johannes den Automaten samt dessen Erbauer einfach verbrannt und hier in den Brunnen geworfen. Lasst uns jetzt also wieder gehen und dem Toten seine letzte Ruhe gönnen.«
»Wer hat den Toten gefunden?«, fragte Simon.
Der Bibliothekar lächelte. »Es mag Euch erstaunen, aber es war der Abt selbst, der mit einem Bediensteten heute früh auf die Leiche stieß. Wollt Ihr seinen Fund etwa in Zweifel ziehen? Wohl kaum. Dann lasst uns jetzt endlich …«
»Einen Augenblick noch.« Simon beugte sich über die verkohlte Leiche und untersuchte sie oberflächlich. Leider waren die einzelnen Körperteile so verunstaltet, dass man nicht erkennen konnte, ob schon vor dem Tod eine Verletzung vorgelegen hatte. Das Gesicht glich dem eines grob geschnitzten, ins Feuer geworfenen Holzmännchens. Eine Ähnlichkeit mit dem lebenden Virgilius war nicht mehr festzustellen. Simon tastete die verkrümmten Arme ab, bis er an der rechten Hand doch noch eine Entdeckung machte.
An der Hand fehlte ein Finger.
Der Finger, den uns der Abt samt Ring vorgestern Nacht gezeigt hat! , dachte Simon. Dann ist dies hier wirklich der Körper von Virgilius. Hat ihn Nepomuk am Ende doch umgebracht?
Er stand auf und blickte in das lächelnde Gesicht Pater Benedikts.
»Ihr wusstet, dass die Monstranz schon vor ein paar Tagen gestohlen wurde, nicht wahr?«, fragte der Bibliothekar Simon. »Vermutlich hat es Euch Abt Maurus erzählt, der alte Narr. War es so?« Als Simon schwieg, schüttelte der Mönch den Kopf. »Was hat er sich nur dabei gedacht! Wir wären in Teufels Küche gekommen, wenn sich das herumgesprochen hätte. Nun, letzten Endes fügt sich nun alles zum Guten. Die Monstranz ist wieder da, und das Fest kann morgen beginnen.«
»Glaubt Ihr allen Ernstes, dass Pater Laurentius die Reliquie gestohlen hat?«, fragte Simon.
Pater Benedikt zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Aber ist das nicht eigentlich egal, jetzt, nachdem sie wieder aufgetaucht ist? Wen kümmert es da noch, wer wirklich der Dieb war. Hauptsache, das Volk hat einen Schuldigen.« Er hob streng den Finger. »Davon abgesehen war es unter den Mönchen ein offenes Geheimnis, dass Laurentius ein Sodomit war. Er hat also nur seine gerechte Strafe bekommen.«
Simon sah den alten Mönch argwöhnisch an. Offensichtlich wusste Pater Benedikt wirklich nicht, dass es der Abt selbst gewesen war, der die Monstranz mit den Hostien gestohlen hatte. Und auch von der Entführung von dessen Bruder Virgilius schien Pater Benedikt keine Ahnung zu haben. Oder war das alles hier nur gespielt? War am Ende der Bibliothekar selbst der Hexer, der den Uhrmacher entführt und getötet hatte, um an die Hostien zu gelangen?
Plötzlich hatte Simon eine Idee. Er verfluchte sich, dass er nicht schon vorher darauf gekommen war. Vielleicht ließ sich so in Erfahrung bringen, ob Pater Benedikt mehr wusste, als er zugab.
»Habt Ihr eigentlich in den Behältern der Monstranz nachgesehen, ob die Hostien wirklich drinnen sind?«, fragte der Medicus neugierig.
Pater Benedikt zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Wir werden das zu gegebener Zeit selbstverständlich tun«, sagte er tonlos. »Aber geht davon aus, dass sie noch an ihrem Platz sind. Die Dosen sind versiegelt.«
»Siegelwachs lässt sich fälschen«, entgegnete Simon.
Der Bibliothekar schnaubte durch die Nase. »Ihr habt eine blühende Phantasie, Herr Bader. Und nun entschuldigt mich. Ich habe eine weitere Messe vorzubereiten. Es wird ein großer Dankgottesdienst zu Ehren der Rückkehr unserer Heiligen Drei Hostien werden. Ihr seid recht herzlich dazu eingeladen.«
Er wandte sich ab und ging mit hoch erhobenem Kopf von dannen – ein kleiner Greis, der jedoch eine unnahbare Autorität ausstrahlte, genährt vom jahrzehntelangen Studium der Bücher. Die bislang schweigend am Rand stehenden Mönche hoben das Tuch mit Virgilius’ Leiche auf; der verbrannte Körper schien so leicht zu sein wie eine Kindermumie. Leise
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