Der Hexer und die Henkerstochter
häufelte er vorsichtig das grünliche Pulver von der Waage auf einen kleinen Löffel.
»Simon, ich muss mit dir reden. Der Abt …«, begann Magdalena.
Der Medicus zuckte ob des plötzlichen Geräuschs zusammen und verstreute das Pulver auf dem Tisch.
»Himmelherrgott, Magdalena!«, fluchte er. »Wie kannst du mich nur so erschrecken? Schau selbst, was du angerichtet hast. Jetzt kann ich mit dem Wiegen noch mal von vorne anfangen! Du weißt doch selbst, wie selten der Angelikawurz ist.«
»Verzeihung, dass ich dich angesprochen habe, obwohl ich nur deine Frau bin«, erwiderte die Henkerstochter schnippisch. »Ich dachte, der Herr hätte vielleicht Zeit, gemeinsam mit mir und seinen Kindern einen kleinen Spaziergang zu machen. Wenn er überhaupt noch weiß, dass er Kinder hat.« Demonstrativ hielt sie ihm die beiden Buben entgegen. »Hier, darf ich vorstellen, euer Vater.«
Simon sah sie verständnislos an. Er schien mit den Gedanken schon wieder ganz woanders. »Spaziergang?«, murmelte er schließlich. »Weißt du überhaupt, was ich hier mache? Wenn ich den Sohn von diesem Grafen nicht heile, werden wir nie wieder einen Spaziergang machen, weil ich dann nämlich tot bin. Und zurzeit steht sein – und damit auch mein teures – Leben auf Messers Schneide.«
»Simon«, versuchte es Magdalena diesmal in mitfühlendem Ton. »Glaubst du nicht auch, dass das hier alles zu viel für dich ist? Die Sache mit meinem Vater und diesem Hexer, die Morde, die vielen Kranken und jetzt auch noch der Bub des Grafen! So ein Spaziergang könnte …«
»Wenn das hier vorbei ist, geh ich mit dir und den Kindern meinetwegen bis zum Mond.« Simon sah sie mit geröteten Augen müde an. »Aber bis dahin werdet ihr wohl ohne mich auskommen müssen. Tut mir leid, aber das hier geht jetzt vor.« Ein hastiges Lächeln huschte über seine Lippen. »Ich habe in der Zwischenzeit übrigens weiter in diesem Buch von Girolamo Fracastoro gelesen. Das ist wirklich hochinteressant! Ich glaube, ich bin kurz davor, das Geheimnis dieser Krankheit zu lüften. Wenn ich nur wüsste …«
»Meister Fronwieser, kommt schnell! Wir haben einen neuen Kranken!«
Achselzuckend wandte sich Simon ab und eilte auf den Eingang zu, wo Jakob Schreevogl gerade eine ältere Frau stützte, die sich offenbar kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie murmelte leise Gebete, die immer wieder von hartnäckigem Husten unterbrochen wurden.
»Bringt sie nach hinten zu mir, Schreevogl!«, rief Simon. »Hier ist ein Bett frei geworden, von jemandem, der letzte Nacht gestorben ist.«
Mit schmalen Lippen sah Magdalena zu, wie ihr Mann die mit Stroh gefüllten schmutzigen Kissen aufschüttelte und sich dann wieder an den Tisch begab, um von neuem mit dem Wiegen zu beginnen.
»Jeweils drei Unzen Berberitze und Fieberklee, zwei Unzen Angelika …«, murmelte er, ohne aufzuschauen. Er schien Magdalena bereits wieder vergessen zu haben.
Die Henkerstochter stand noch eine Weile schweigend da, mit jeder Hand hielt sie eines ihrer Kinder. Sie drückte sie so fest, dass sie nach einiger Zeit zu wimmern begannen. Schließlich wandte sie sich ab und ging mit den beiden Kleinen auf den Ausgang zu.
»Kommt, ihr zwei«, sagte sie mit matter Stimme, die Augen starr geradeaus gerichtet. »Der Papa hat heut keine Zeit. Er muss mal wieder anderen Leuten helfen. Wir wollen sehen, ob der Matthias mit euch spielen kann.«
*
Ein Dutzend Meilen entfernt fingen sie in Weilheim mit der Folter an.
Die Büttel hatten die Luke zu Nepomuks Kerker gegen Mittag geöffnet und eine Leiter heruntergelassen. Ganz kurz überlegte der Mönch, sich einfach zu weigern und nicht hinaufzusteigen. Aber vermutlich hätten sie ihn dann mit Schlägen Sprosse für Sprosse hochgeprügelt, also kletterte er lieber freiwillig über das mit Blut und Unrat beschmutzte Holzgestell auf das Tageslicht zu.
Nepomuk blinzelte in die hellen Strahlen der Sonne, die durch die schmalen Fenster in den Faulturm fielen. Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erblickte er vor sich vier Wachen und Meister Hans. Der Weilheimer Scharfrichter wischte sich die schlohweißen Haare aus der Stirn und musterte sein Gegenüber mit stechenden roten Augen, so als wollte er abschätzen, wie viel Schmerzen der Delinquent vertrug.
»Der Weilheimer Landrichter will die Sache schnell aus der Welt schaffen«, sagte er mit einer angenehm wohltönenden Stimme, die so gar nicht zu dem weißhaarigen Ungetüm von Mann passen
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