Der Hexer und die Henkerstochter
neugieriger Mönch oder ein junger Bursche aus dem Ort bei einer Mutprobe? Nun würde er es wohl nie erfahren.
Grimmig stapfte er die staubige Gasse hinunter nach Erling, während ihm zwei kalte Augen hasserfüllt nachstarrten. Das Weiß der Augäpfel leuchtete geisterhaft in der Finsternis, schließlich wandte sich der Mann ab und verschmolz mit der Nacht.
Donnerstag, der 17. Juni Anno Domini 1666,
vormittags in Erling
ie Weilheimer Kutsche kam früher als erwartet.
Schon kurz nach der Zehnuhrmesse rollte vom Tal her ein Zug von drei Wagen durch Erling. Auf dem vorderen Wagen saßen ein halbes Dutzend Soldaten mit Musketen, die von ihrer erhöhten Plattform aus wichtigtuerisch auf die Dorfbewohner herabblickten. Es folgte eine gefederte Kutsche mit Verdeck, die von zwei schwarzen Rössern gezogen wurde. Zur Linken und Rechten dieses vornehmen Gefährts ritten vier weitere Musketiere. Der dritte Wagen, der dahinter folgte, war hingegen ein einfacher Ochsenkarren, auf den man einen robusten, mannshohen Holzverschlag genagelt hatte.
In diesem Kasten würden die Soldaten den Hexer nach Weilheim eskortieren.
»Verdammt, Simon! Du hast recht gehabt!«, knurrte Jakob Kuisl und spuckte einem der vielen Zuschauer neben ihm direkt vor die Füße. Noch immer trug der Henker die Mönchskutte. Wegen seiner Größe und seines finsteren Blicks sahen immer wieder einige der Umstehenden zu ihm hinüber. »Sie machen kurzen Prozess mit dem Nepomuk«, schimpfte er. »Warum hab ich nicht noch einmal mit ihm geredet!«
Nach seiner Erkundungstour gestern Nacht war der Henker noch allein im Wald gewesen. Doch anders als sonst war ihm diesmal kein rettender Einfall gekommen. Simon hatte ihn schließlich in aller Herrgottsfrühe grimmig und pfeiferauchend an einem Bach unweit des Schinderhauses entdeckt.
Nun stand der Medicus neben seinem Schwiegervater und Magdalena in der gaffenden Menge und versuchte an den vielen Menschen vorbei einen Blick auf die Kutsche zu erhaschen. Er war zwei Köpfe kleiner als Jakob Kuisl und hatte Mühe, überhaupt etwas von den Vorbeifahrenden mitzubekommen. Zu allem Überfluss trug er auch noch den kleinen Paul auf den Schultern, der ihn immer wieder an den Haaren zog. Pauls Bruder Peter rannte derweil mit ein paar anderen Buben einem aufgescheuchten Huhn hinterher. Nur widerwillig ließ er sich schließlich von seiner Mutter an der Hand nehmen.
»So wie es aussieht, ist tatsächlich der Landrichter persönlich erschienen!«, rief Simon gegen die lauten Stimmen um ihn herum an. »Wer hätte das gedacht?«
Er deutete auf die Kutsche, in deren Fenster sich jetzt ein blasses, feistes Gesicht mit Knebelbart zeigte. Eine runzlige Hand, an deren Finger mehrere Goldringe glitzerten, winkte huldvoll der Menge zu.
»Was für ein eitler Geck!«, fuhr Simon wesentlich leiser fort. »Ich hab den Grafen schon einmal in Schongau bei einem Treffen mit unserem Schreiber erlebt. Das ganze Jahr über treibt sich der Alte auf höfischen Jagden herum. Aber einen Prozess gegen einen Hexer lässt sich Seine Exzellenz natürlich nicht entgehen. Davon wird man in vielen Jahren noch berichten.«
Tatsächlich hielt sich der Graf von Cäsana und Colle die meiste Zeit in München auf und ließ die Arbeit in Weilheim von seinem Verwalter erledigen. Ein Umstand, den die Bürger nicht unbedingt bedauerten. Aber heute schienen die Erlinger nach Pomp und Gloria geradezu zu gieren. Es kam nicht oft vor, dass ein hochgestellter Adliger samt Soldaten und Anhang dem kleinen Dorf einen Besuch abstattete; noch dazu, um den »Hexer von Andechs« zu arretieren, wie der einstige Apothekermönch Frater Johannes mittlerweile hieß.
»Das wird ein spektakuläres Volksfest in Weilheim geben, wenn es tatsächlich zur Hinrichtung kommt«, murmelte Magdalena. »So viele Menschen!«
Ihr Vater musterte abfällig die grölende Menge. Kuisl hatte noch nie verstehen können, warum Menschen Freude bei der Hinrichtung eines Menschen empfinden konnten – auch wenn er damit sein Geld verdiente.
»Selbst wenn der Andechser Abt wollte«, brummte er schließlich, »er könnte den Prozess nicht verhindern. Für Fälle wie diesen ist Weilheim zuständig. Auf dem Erlinger Galgenbichl unten beim Graetz hängen sie höchstens ein paar Straßenräuber.«
Mittlerweile nahm der Umzug beinahe Volksfestcharakter an. Neben den Erlingern hatten sich nun auch viele Wallfahrer den drei Wagen angeschlossen, deren Kutscher Mühe hatten, sich einen Weg durch die
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