Der Hexer und die Henkerstochter
Menge zu bahnen. Meter für Meter schob sich der Wagenzug den Berg hinauf auf das Kloster zu. Kinder und kläffende Hunde liefen ihm voraus, die Menschen deuteten auf den hölzernen Kasten und malten sich in ihrer Phantasie bereits aus, was mit dem Hexer geschehen würde.
»In Augsburg haben sie mal einen Zauberer in siedendem Wasser gekocht«, nuschelte ein alter Bauer verschwörerisch. »Der hat stundenlang geschrien, dann hat er einen Fluch gemurmelt und ist mit Blitz und Donner zur Hölle gefahren.«
»Wenn sie vorher gestehen, werden sie nur verbrannt«, erwiderte einer der herbeigelaufenen Knechte mit wichtigtuerischer Stimme, so als wäre er jeden Tag Zeuge eines Hexenprozesses. »Manchmal erwürgt sie der Henker vorher oder hängt ihnen ein Säckchen mit Schießpulver um, aber nur, wenn er einen guten Tag hat.«
Ein altes Weiblein kicherte. »Dann seh ich schwarz für den Andechser Hexer. Der Weilheimer Henker ist nämlich ein echter Teufelskerl. Der hat noch keinen einzigen guten Tag in seinem ganzen Leben gehabt. Wenn der jemanden auf der Streckbank hat, dann schreit der arme Hund so laut, dass du’s noch im Seefelder Schloss hörst.«
Die Umstehenden lachten, während Simon leichte Übelkeit verspürte. Er war zwar schon einige Male bei einer öffentlichen Hinrichtung dabei gewesen, von denen die meisten sogar sein eigener Schwiegervater durchgeführt hatte. Doch die bevorstehende Vollstreckung versprach, besonders grausam zu werden. Der Medicus wusste, dass Hexern und Zauberern meist die schlimmsten Todesstrafen drohten. Er hatte von einem Fall in München gehört, bei dem die vermeintlichen Ketzer erst mit glühenden Zangen gezwickt worden waren, anschließend hatte man sie gerädert und zum Schluss auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zauberer wurden gevierteilt, gekocht, lebendig begraben und in früheren Zeiten sogar gepfählt. Offenbar schien erst die vollständige Vernichtung ihres Körpers den bösen Bann brechen zu können.
Mittlerweile hatte der Zug den Platz vor der Klosterkirche erreicht. Die Soldaten sprangen vom Wagen und bildeten eine Gasse, damit der Weilheimer Landrichter ohne Gedränge in die Kirche gelangte. Offenbar wollte Seine Exzellenz noch die Messe besuchen, bevor er sich den lästigen Pflichten der Gefangenenüberführung widmete. Würdevoll, wenn auch ein wenig zittrig stieg der etwa sechzigjährige Graf von Cäsana und Colle über eine kleine Trittleiter aus der Kutsche, seine ganze Gestalt strahlte jahrzehntelang gewachsene Macht aus. Der durch rotes Fleisch, Bier und Wein aufgedunsene Bauch steckte in einem samtenen Rock, darüber thronte eine etwas zu steife Halskrause, die ihn sein Kinn herrisch nach vorne recken ließ. Am Portal der Kirche wurde der alte Herr vom wesentlich jüngeren Wittelsbacher Grafen Wartenberg und dem Prior in Empfang genommen. Pater Jeremias verbeugte sich und sprach einige Grußworte.
»Ist das nicht eigentlich Aufgabe des Abts?«, fragte Magdalena. »Wo ist der überhaupt?«
Simon runzelte die Stirn. »Offenbar verschieben sich die Machtverhältnisse im Kloster gerade schneller, als man einen Rosenkranz beten kann. Ich bin gespannt, ob der Prior dem Landrichter auch von den verschwundenen Hostien berichtet oder darauf hofft, dass sich der Dieb stahl bis zum Fest noch aufklären lässt. Schaut mal, da!«
Simon deutete auf drei Mönche, die aus der Kirche gekommen waren und sich nun nacheinander vor den zwei Grafen verbeugten.
»Sieh an, der Bibliothekar, der Novizenmeister und der Cellerar«, flüsterte Magdalena. »Ein Herz und eine Seele! Nun ist der Klosterrat ja vollzählig, bis auf den Abt. Wenn ihr mich fragt, hat mindestens einer von denen dort Dreck am Stecken.« Sie schüttelte den Kopf. »Allesamt studierte Leut, aber das Böse macht eben nicht vor den Universitäten halt. Im Gegenteil, je belesener, desto ausgschamter.«
Plötzlich schien ihr Vater neben ihr zu erstarren. Schließlich schlug er sich an die Stirn und grunzte abfällig. »Ich Hornochse!«, schimpfte er. »Warum hab ich nicht eher dran gedacht! Ich muss noch mal zum Nepomuk, bevor es vielleicht zu spät ist.«
»Jetzt?« Simon starrte ihn entsetzt an. »Aber die Weilheimer Soldaten! Vermutlich sind ein paar von denen schon unten bei der Klostermeierei. Die werden fragen, wer Ihr seid, und dann …«
»Es muss sein!«, unterbrach ihn der Henker barsch. »Wahrscheinlich werden sie den Nepomuk noch heute in die Weilheimer Fronveste schaffen. Dann kann ihm keiner
Weitere Kostenlose Bücher