Der Hexer und die Henkerstochter
mehr helfen. Ich kenn den Scharfrichter dort. Bei Meister Hans redet jeder, auch wenn er nichts zu sagen hat.«
»Aber was willst du denn noch von Nepomuk?«, fragte Magdalena. »Dich von ihm verabschieden?«
»Schmarren! Fragen muss ich ihn was. Und betet zu Gott, dass er die Antwort weiß. Schon viel früher hätt ich ihn darauf ansprechen sollen.«
Simon sah seinen Schwiegervater besorgt an. »Ansprechen auf was?« Der kleine Medicus tippte den um zwei Köpfe größeren Mann auf die Brust. »Ihr sagt, Ihr wisst, wer die Hostien gestohlen hat. Also, wer war’s? Himmelherrgott, spannt uns doch nicht so lange auf die Folter!«
Jakob Kuisl grinste, doch seine Augen hatten dabei einen traurigen Glanz. »Auf die Folter zu spannen gehört nun mal zu meinem Handwerk«, erwiderte er leise. »Wenn ich euch brauch, sag ich schon rechtzeitig Bescheid. Bis dahin ist es besser, wenn ihr so wenig wisst wie möglich. Sonst kommt ihr bloß auf dumme Gedanken.«
Ohne ein weiteres Wort schob der Henker einige der Pilger zur Seite und wandte sich zum Gehen. Simon und Magdalena sahen seine große Gestalt mit ausgreifenden Schritten davoneilen wie ein Schiff, das durch stürmische See schaukelt, dann war er in der Menge verschwunden.
»Wo ist der Großvater?«, fragte Peter und zerrte widerwillig an der Hand seiner Mutter. »Warum ist er schon wieder weg, Mama?«
Magdalena seufzte. »Dein Großvater ist ein sturer Hund. Wenn der sich was in den Kopf gesetzt hat, kann ihn nicht mal der Papst persönlich davon abhalten.« Sie beugte sich zu ihrem Ältesten hinab und fuhr ihm gedankenverloren durch die Haare. »Tu mir einen Gefallen, ja? Werd später nicht genauso vernagelt wie er.« Unwillkürlich musste die Henkerstochter lächeln. »Wobei ich befürchte, dass das leider in der Familie liegt.«
Jakob Kuisl rannte an den vielen Zuschauern und Wallfahrern vorbei, wobei er leise vor sich hin fluchte und sich selbst mehrmals ein Rindvieh schimpfte. Endlich war ihm eingefallen, was ihn gestern Nacht im Haus des Uhrmachers so irritiert hatte. Er konnte nur noch hoffen, dass es nicht zu spät war.
Doch als er endlich atemlos an der Klostermeierei ankam, stellte er enttäuscht fest, dass tatsächlich bereits einige der Weilheimer Soldaten dort Position bezogen hatten. Die großen Kerle in ihren Waffenröcken und mit Hellebarden und Musketen bewaffnet wirkten weitaus respekteinflößender als die Andechser Jäger, die den Apotheker bis vor kurzem noch bewacht hatten. Trotzdem musste Jakob Kuisl versuchen, zu Nepomuk vorzudringen. Er überlegte kurz, dann entschied er sich für die frechste aller Möglichkeiten.
Tief zog der Henker die Kapuze ins Gesicht und näherte sich, unablässig lateinische Gebete murmelnd, den vier Soldaten, die ihn misstrauisch beäugten.
»He, du! Schwarzkittel!«, bellte einer von ihnen. Der Mann trug einen versilberten Brustpanzer und schien offenbar der Anführer der Wachmannschaft zu sein. »Was hast du hier zu suchen?«
»Befindet sich in diesem Kerker der Mönch Frater Johannes, auch genannt der Hexer von Andechs?« Jakob Kuisl versuchte, so befehlsgewohnt wie möglich zu klingen. Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und musterte streng jeden einzelnen Soldaten.
»Äh … wer will das wissen?«, erwiderte der Hauptmann, der jetzt ein wenig eingeschüchtert klang.
»Henricus Insistoris vom Augsburger Dominikanerkonvent St. Magdalena. Der Bischof bat mich, diesen Fall für die Kirche zu examinieren.«
Das war so dreist gelogen, dass Kuisl nur darauf hoffen konnte, den Hauptmann allein durch sein selbstbewusstes Auftreten zu überrumpeln. Eigentlich trugen Dominikaner weiße Tuniken unter ihren schwarzen Kutten, und auch den Namen hatte sich der Henker von einem ihm bekannten Inquisitor geliehen. Um keinen Widerspruch aufkommen zu lassen, stapfte Kuisl weiter unverdrossen auf die Kerkertür zu.
»Nun, was ist jetzt?«, fragte er barsch. »Seid ihr taub, oder hat euch der Hexer bereits die Ohren weggezaubert?«
»Aber … aber … der Landrichter …«, meldete sich zaghaft der Hauptmann.
»Hat davon Kenntnis erhalten. Keine Sorge, die Kirche wird das Hohe Gericht nur beraten, alles Weitere …« Abrupt blieb der Henker vor dem Soldaten stehen und starrte auf einen größeren Leberfleck auf dessen unrasierter Wange. »Dieses Mal …«, erkundigte sich Kuisl, scheinbar äußerst besorgt. »Wie lange habt Ihr das schon?«
Der Hauptmann wurde blass, nervös strich er sich
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