Der Hexer und die Henkerstochter
scheint jedenfalls ein würdiger Nachfolger zu sein.«
Simon biss sich auf die Lippen und starrte den Bürgermeister schweigend an. Ebenso wie Karl Semer wusste er, dass mit der Ankunft des Landrichters Nepomuks Schicksal besiegelt war. Es würde zur Folter, zum Geständnis und schließlich zum Urteil kommen. Ein anderer Weg war nicht vorgesehen.
»Ich … ich werde wie vereinbart meinen Bericht für das Kloster schreiben.« Simon bemühte sich, so selbstbewusst wie möglich zu klingen. »Es gibt noch viele Unstimmigkeiten, die geklärt werden müssen.«
»Tut das, tut das«, erwiderte Karl Semer. »Ich glaube zwar kaum, dass der Landrichter den Äußerungen eines Schongauer … Baders« – er verzog spöttisch die Mundwinkel – »viel Aufmerksamkeit schenken wird, aber bitte. Und wenn Ihr glaubt, dass Ihr damit den Prozess, aus welchen Gründen auch immer, in die Länge ziehen könnt …« Semer zuckte abfällig mit den Schultern. »Vor dem Dreihostienfest wird dieser Apotheker ohnehin nicht verbrannt, dafür mahlen die Mühlen der Justiz leider zu langsam. Aber wenigstens wissen wir dann, wer es war, und in diesem Kloster kehrt wieder etwas Ruhe ein. Denn Ruhe, Meister Fronwieser …« Er tippte Simon mit seinem fleischigen Finger auf die Brust. »Ruhe ist die oberste Bürgerpflicht, und nebenbei die erste Regel beim Geschäftemachen. Und nun gehabt Euch wohl.«
Semer wandte sich ab, und Simon sah, dass er die Klostertaverne ansteuerte, wo vermutlich sein Sohn und vielleicht auch der Wittelsbacher Graf auf ihn warteten. Der Schritt des Bürgermeisters war trotz seiner Körperfülle leicht, beinahe beschwingt.
Ganz plötzlich hatte der Medicus keinen Appetit mehr.
Als die Dämmerung sich wie eine dunkle Decke über das Kloster gelegt hatte und endlich Ruhe in den Gassen einkehrte, schlich eine große Gestalt auf das Haus des Uhrmachers zu. Sie trug eine Mönchskutte und hielt in der rechten Hand eine Laterne, die sie mit einer Blende so weit abgedunkelt hatte, dass nur noch ein schmaler Schlitz Licht auf den Boden fiel. Die Gestalt sah sich ein letztes Mal nach allen Seiten um, dann drückte sie vorsichtig mit den Fingern gegen die angekohlte Tür, bis diese sich leise quietschend öffnete.
Der Henker nickte befriedigt. Die Angst der Mönche vor dieser mutmaßlichen Spukstätte war so groß, dass sich offenbar noch keiner die Mühe gemacht hatte, das Haus für spätere Untersuchungen abzusperren und zu versiegeln. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sich die merkwürdigen Ereignisse im Kloster zurzeit überschlugen. Jakob Kuisl hoffte, an diesem Ort etwas zu finden, was all diese Ereignisse miteinander verband. Den Diebstahl der Hostien, die Morde und den verschwundenen Uhrmacher mit seinem Automaten. Kuisl glaubte mittlerweile zu wissen, wer die Reliquien aus der Heiligen Kapelle gestohlen hatte, doch der Grund dafür war ihm nach wie vor ein Rätsel. Etwas tief in seinem Inneren sagte ihm, dass im Haus des Uhrmachers die Lösung verborgen sein könnte. Es war dieses Kitzeln in seiner ehrfurchtsgebietenden Nase, das ihn immer dann befiel, wenn sein Unterbewusstsein schon einen Schritt weiter war als sein Verstand.
Auch jetzt juckte seine Nase wieder, und zwar höllisch.
Leise schlich der Henker ins Innere des Hauses. Er schob die Blende vor seiner Laterne nun so weit auf, dass ein schmaler Kegel Licht den Raum wenigstens teilweise ausleuchtete. Alles war offensichtlich noch unverändert so wie an jenem Mittag vor vier Tagen, als Simon und Magdalena hier den toten Uhrmachergehilfen gefunden hatten. Tische und Stühle lagen teilweise zerborsten am Boden, überall verstreut befanden sich Scherben von Reagenzgläsern und verkohlte Metallteile. Ein abgetrennter Puppenkopf starrte Jakob Kuisl aus einer Ecke heraus an.
Etwas knarrte, und der Henker blickte erschrocken zur Decke. Über ihm hing an einem Seil der ausgestopfte Drache, von dem ihm Simon bereits erzählt hatte. Einen Moment lang beäugten sich Henker und Krokodil wie zwei Gleichgesinnte. Hässliche, mythenbeladene Wesen, vor denen die Menschen Angst hatten und über die sie Schauergeschichten erzählten.
Was hast du wohl von dort oben gesehen, stummes Untier? , dachte Kuisl. Was in drei Teufels Namen ist hier vorgefallen?
Er drehte sich mit der Laterne im Kreis, bis er schließlich den Brandfleck an der Tür fand, wo der junge Uhrmachergehilfe seinen grausamen Tod gefunden hatte. Eine weitere, fast mannsgroße
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