Der Hexer und die Henkerstochter
über den Fleck, während seine drei Kollegen ihn neugierig beobachteten und miteinander tuschelten. »Nun … seit meiner Kindheit, also, wenn man so will, äh … schon immer.«
Kuisl fuhr mit dem Finger langsam die Umrisse des Muttermals nach. »Es erinnert an einen Raben, findet Ihr nicht? Ich kannte mal eine Hex, die fast genau ein solches Muttermal trug. In Landsberg haben wir sie vor einigen Jahren verbrannt.«
Das Gesicht des Hauptmanns war jetzt kreideweiß. »Bei Gott, Ihr glaubt doch nicht …«, stammelte er, doch Kuisl drückte sich schon an ihm vorbei.
»Lasst lieber den Glauben aus dem Spiel, wenn es um Teufelswerk geht«, sagte er beiläufig. »Und nun öffnet diese Tür. Ich möchte den Verdächtigen einer ersten Befragung unterziehen. Oder soll ich zuerst Euch befragen?«
In Sekundenschnelle schob der Hauptmann den Riegel zur Seite und öffnete die Pforte zum Verlies. Jakob Kuisl trat blinzelnd ein, seine Augen brauchten eine Weile, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Schließlich sah er hinten an der Wand den hässlichen Nepomuk kauern. Als der Mönch seinen Freund erkannte, richtete er sich ächzend auf.
»Jakob!«, krächzte er. »Ich dachte schon, du hättest mich …«
»Psssst!«, machte Kuisl und hielt sich den Finger vor die Lippen. Nach hinten gewandt rief er: »Ich werd Euch rufen, wenn ich eine kräftige Hand für meine Befragungen brauchen sollte. Bis dahin lasst uns zwei alleine.«
Nur zu bereitwillig schlossen die Soldaten die Tür. Von draußen ertönte Gemurmel und ein leiser Befehl des Hauptmanns, das Maul zu halten. Der Henker grinste.
»Ich wollt schon immer mal so neunmalklug daherreden wie ein Studierter«, sagte er leise. »Ist gar nicht so schwer. Nichts als gestelzte, hohle Worte, aber trotzdem kuschen die Leut!« Er zog die Kapuze in den Nacken und wischte sich feixend den Staub der Gasse vom Gesicht. »Jetzt werden sich die vier dort draußen erst mal in aller Ruhe ihre Leberflecken anschauen. Ich hoff nur, es ist keiner von denen so schlau und rennt zum Landrichter.«
Nepomuk sah seinen Freund entsetzt an. »Zum Landrichter? Soll das heißen, die Soldaten dort kommen vom Landrichter?«
Kuisls Miene wurde schlagartig ernst. »Ich fürchte, ich hab schlechte Nachrichten für dich, Nepomuk. Sie wollen dich noch heute nach Weilheim bringen. Es tut mir leid, aber ich hab es nicht verhindern können.«
Keuchend brach Nepomuk zusammen und vergrub sein Gesicht zwischen den Händen. »Dann ist alles aus!«, flüsterte er. »Der Weilheimer Scharfrichter wird mich peinigen. O Gott, Jakob, ich hab solche Angst! Nicht den Tod fürcht ich, aber die Schmerzen. Wir beide wissen doch, was jetzt kommt. Die Streckbank, die glühenden Zangen, das Schwefelfeuer …«
»Halt’s Maul und hör mir zu!«, unterbrach ihn der Schongauer Henker barsch. »Wer bist du? Der Sohn eines Scharfrichters oder eine Maus?« Er zog den Freund zu sich hoch und sah ihm in die Augen. »Erinner dich an den Krieg, Nepomuk. Erinner dich an Breitenfeld! Es gibt immer Hoffnung!«
Nepomuk nickte, sein Blick wurde starr. Er wusste, was der Schongauer Henker meinte. In der Schlacht von Breitenfeld war damals fast das ganze Heer Tillys von den Schweden aufgerieben worden; gerade mal sechshundert Soldaten waren von dem einst 40 000 Mann starken Heer übriggeblieben. Kuisl und Nepomuk hatten nur überlebt, weil sie sich unter einem Haufen Leichen versteckt hatten. Die ganze Nacht lang hatten sie in der Nähe die Schreie der Verwundeten gehört, die von den feindlichen Soldaten abgestochen wurden.
»Du hast Breitenfeld überlebt«, knurrte Kuisl. »Und du wirst auch das überleben. Uns Henker hat der Teufel selbst getauft, da braucht es schon mehr als billigen Jahrmarktsspuk, um uns in die Hölle zu schicken.«
Dann erzählte er Nepomuk von dem Diebstahl der Hostien aus der Heiligen Kapelle und dem Gespräch zwischen den Mönchen, das er belauscht hatte. Der Apotheker hörte ihm mit offenem Mund zu.
»Wenn der Landrichter nur einen Funken Verstand besitzt, dann wird er sehen, dass es zwischen den Morden und dem Diebstahl einen Zusammenhang gibt«, fuhr Kuisl fort. »Und die Hostien kannst du nicht gestohlen haben. Da hättest du schon aus dem vergitterten Fenster hier fliegen müssen.«
Nepomuk nickte grimmig. »Genau das werden sie behaupten.«
Eine Weile sagte keiner etwas. Nur das Summen der Fliegen und das leise Tuscheln der Soldaten draußen im Gang war zu hören. Beide wussten sie, dass
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