Der Hexer und die Henkerstochter
erhielt.
Tagsüber kümmerte der Medicus sich mit Magdalena weiterhin um die Kranken. Unterstützung bekamen sie dabei von Jakob Schreevogl, der ein paar unerschrockene Tagelöhner dafür bezahlt hatte, ihnen beim Aufstellen neuer Betten in einem Nachbarraum zu helfen. Außerdem sorgten zwei Mägde aus dem Dorf dafür, dass immer frisches Wasser und die notwendigen Kräuter zur Verfügung standen. Bedingung war allerdings gewesen, dass Simon die Räume mit Beifuß und Johanniskraut ausräuchern ließ. Er selbst glaubte zwar nicht, dass dies die Ansteckungs gefahr in irgendeiner Weise minderte, aber nur unter dieser Voraussetzung hatten die Männer und Frauen überhaupt zugestimmt, dem Bader zur Seite zu stehen. Von den Mönchen hatte sich bislang noch keiner blicken lassen.
Immer wieder blätterte Simon in dem Buch Girolamo Fracastoros, um mehr über die mysteriöse Krankheit zu erfahren. Der italienische Gelehrte vertrat die Ansicht, dass Krankheiten nicht – wie gemeinhin angenommen – über üble Gerüche verbreitet wurden, sondern durch winzige Bestandteile in der Nahrung, im Wasser oder in der Luft. Konnte dies auch der Grund für die Andechser Seuche sein?
Als die Abendsonne nun ihre letzten warmen Strahlen durch die winzigen Fenster des Krankensaals schickte, erinnerte das Knurren seines Magens Simon daran, dass er seit heute Vormittag nichts mehr gegessen hatte. Er legte seine schmutzige Baderschürze zur Seite, benetzte sein Gesicht mit frischem Wasser und sah sich nach Magdalena um, die einem etwa sechsjährigen Mädchen gerade einen fieberlindernden Sirup einträufelte. Ihre beiden eigenen Kinder spielten in einer Ecke mit ein paar Krippenfiguren, die ein Holzschnitzer statt eines Entgelts gespendet hatte.
»Ich komme um vor Hunger«, gestand Simon stöhnend. »Was ist? Wollen wir gemeinsam auf einen Eintopf und ein, zwei Gläser Wein in die Klostertaverne gehen? Hier gibt es zurzeit ohnehin nicht viel zu tun. Die Leute husten und rotzen, ob wir nun da sind oder nicht.«
Magdalena sah besorgt hinüber zu Peter und Paul. »Ich glaub, ich geh mit den Kleinen lieber ins Schinderhaus«, sagte sie und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Die zwei sind schon viel zu lang unter all den Kranken gewesen. Außerdem müssen sie ohnehin bald ins Bett.« Sie deutete auf Paul, der sich müde die Augen rieb. »Aber geh du ruhig allein, das macht mir nichts aus.«
Simon grinste. »Weil du gern wieder mit deinem stummen Helfer zusammen bist?«
»Mit dem Matthias?« Magdalena schüttelte lachend den Kopf. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Du redest vielleicht manchmal ein wenig zu viel, aber einen Mann, der nur schweigt, den könnte ich auch nicht ertragen.« Sie nahm die zwei gähnenden Kinder am Arm und zwinkerte ihrem Ehemann an der Tür noch einmal zu. »Aber fesch ist er schon, der Matthias.«
Bevor Simon etwas erwidern konnte, war sie in der aufkommenden Dämmerung verschwunden. Der Medicus sah noch bei ein paar der Kranken nach dem Rechten, dann begab auch er sich hinaus in den Abend, wo ihn ein warmer Wind empfing. Erneut knurrte sein Magen. In stiller Vorfreude steuerte Simon auf die Taverne unterhalb des Klosters zu, als ihm eine Gestalt entgegenkam.
Viel zu spät erkannte er, dass es Karl Semer war.
Verflucht! , fuhr es Simon durch den Kopf. Den hatte ich ganz vergessen!
»Werter Bürgermeister«, begann er und zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Ich weiß, das Gespräch mit dem Abt. Aber leider bin ich noch nicht …«
»Vergesst es«, unterbrach ihn Karl Semer. Sein maliziöses Lächeln zeigte Simon, dass der Bürgermeister mit einer Überraschung aufwarten konnte. »Ich habe mittlerweile mit dem Prior sprechen können«, fuhr Semer fort. »Und siehe da – Hochwürden ist genau der gleichen Ansicht wie ich. Er hat noch diesen Nachmittag nach dem Weilheimer Landrichter schicken lassen. Ich bin sicher, dass der Richter schon morgen hier sein wird, um den Hexer seiner wohlverdienten Strafe zuzuführen.«
»Aber … aber …«, stammelte Simon.
»Der Abt? Es war nicht nötig, ihn zu fragen.« Karl Semer pulte gelangweilt zwischen den Zähnen und entfernte einen Fleischfaden. »Wird es zum Prozess kommen, sind Maurus Rambecks Tage ohnehin gezählt«, fuhr er süffisant fort. »Der Landrichter wird es nicht gern sehen, dass ihm so abscheuliche Taten verheimlicht wurden. Man wird Druck auf die Mönche ausüben. Vermutlich tritt Rambeck vorher selbst zurück. Der Prior
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