Der Highlander und der wilde Engel
mit einer Kerze bewehrt und, wie sie nun argwöhnte, um einiges aufgeweckter gewesen.
Die Dielen in Averills Gemach waren mit frischen, duftenden Binsen bestreut, die bei Bedarf erneuert wurden. Der Boden im Tunnel hingegen war nicht eingestreut, und sie verzog das Gesicht, als sie unter den Füßen sandigen Unrat und Geröll spürte, die sich mit der Zeit abgelagert hatten und sich ihr nun in die Sohlen bohrten. Das ließ sie wünschen, sie hätte sich doch die Mühe gemacht, ein Kleid anzulegen. Dann hätte sie wenigstens daran gedacht, Schuhe anzuziehen.
Kaum schoss ihr dieser Gedanke durch den Kopf, als sie auch schon auf etwas trat, das weder Gestein noch Unrat war. Es fühlte sich nachgiebig unter ihrer Ferse an, und -mit dem Bild von toten oder gar lebenden Ratten vor dem inneren Auge - kreischte sie auf und stürzte blindlings vorwärts, ehe ihr klar wurde, wie närrisch das war, und sie sich zum Innehalten zwang. Vollkommen reglos wartete sie darauf, dass ihr Herz aufhören würde zu rasen, während sie angestrengt auf irgendetwas lauschte, das ihr Aufschluss darüber geben mochte, auf was sie da getreten war. Als nichts außer dem Laut ihres eigenen Atems an ihr Ohr drang, biss sie sich auf die Lippe und versuchte zu ergründen, wie weit sie wohl gerannt war.
Hatte sie den Eingang zu Kades Gemach schon verpasst? Wills Kammer lag gleich dahinter, doch so weit war sie si-eher nicht gestolpert, oder?Verdammt! Sie hatte keine Ahnung, wo sie war.
„Bleib ruhig“, wies sie sich leise murmelnd zurecht. Als sie merkte, dass ihre Stimme in dieser schauerlichen Schwärze beruhigend auf sie wirkte, begann sie laut zu denken. „Also gut. Du hattest sechs Schritte der insgesamt achtzehn bis zu Kades Kammer getan, ehe du auf ... auf was auch immer getreten bist. “ Angewidert verzog sie das Gesicht, zwang sich aber fortzufahren. „Und danach bist du noch einmal etwa sechs Schritte gerannt, also bleiben sechs bis zu Kades Gemach ... Wobei natürlich zu bedenken ist, dass deine Schritte kürzer waren, als du noch klein warst ... Und womöglich waren es gerade auch mehr als sechs Schritte. In diesem Fall ... Herrje!“
5. Kapitel
Hast du das gehört?“
Kade hob die Brauen bei dieser Frage. Will und er hatten sich leise in seiner Kammer unterhalten, nachdem sie zunächst im unteren Burgbereich Lord Mortagnes Zusage, ihm Averill als Braut zu geben, gefeiert hatten. Will schien sich über die anstehende Verbindung sehr zu freuen, und auch Kade war zufrieden. Er mochte Averill, genoss jedes Gespräch mit ihr, fand sie anziehend und würde sie gerne zur Frau nehmen - nun da er wusste, dass sie nicht die zarte, verletzliche Blume war, für die er sie gehalten hatte. Ein Mädchen, das eine Kindheit voller kalter Bäder überstanden hatte, die sein Mütchen kühlen sollten, dürfte keine Schwierigkeiten haben, dem schottischen Winter zu trotzen.
„Es klang wie ... fuhr Will fort.
„Ein quiekendes Schwein?“, schlug Kade vor. Er ließ den Blick zur Wand gleiten, aus der das Geräusch gekommen zu sein schien.
„Aye“, murmelte Will und erhob sich, um zur Mauer zu gehen.
Neugierig beobachtete Kade, wie er am Kaminsims stehen blieb und mehrere Steine abzählte. Am vierten vom Sims aus tat er irgendetwas, woraufhin sich in der Mauer ein Spalt öffnete.
„Was zum ...?“, setzte Kade an, verstummte aber, als Will ihm mit der Hand zu schweigen gebot. Auch er kam auf die Füße und ging zur Mauer, während Will stirnrunzelnd lauschte. Erst als er direkt neben Will stand, hörte er ebenfalls die Worte, die durch die schmale Öffnung drangen. Schnell erkannte er Averills Stimme und erstarrte. Sie schien mit jemandem zu reden. Nein, sie sprach mit sich selbst. Sie murmelte gerade vor sich hin, dass sie seine oder auch nur ihre eigene Kammer niemals finden und auf ewig durch die Tunnel irren werde, als Will die Wand leise wieder schloss.
„Was tust du da?“, raunte Kade empört. „Nun öffne sie schon ganz. Averill hat sich verlaufen.“ Er stemmte sich gegen das Gestein und runzelte die Stirn, als dieses kein Stück nachgab.
„Ich dachte, es sei dir vielleicht lieber, wenn ich zuvor verschwände“, erklärte Will. „Denn offenbar möchte sie mit dir sprechen.“
Will wandte sich erneut der Mauer zu und streckte die Hand nach dem Stein aus, an dem er gerade hantiert hatte. Rasch griff Kade seinen Arm. „Stimmt, vielleicht ist es wirklich besser, wenn du gehst. Womöglich möchte sie über die Hochzeit reden
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