Der Highlander und der wilde Engel
aufschlug.
In der Kammer war es dunkel und still. Bess hatte die Kerze mitgenommen, und da Sommer war, brannte kein Feuer im Kamin. Im Gegensatz zu ihrem alten Kindermädchen legte Averill in der warmen Jahreszeit keinen Wert auf ein Feuer. Was wirklich verflixt schade war, dachte sie, denn das Licht der Flammen wäre ihr nun durchaus zupassgekommen.
Sie schnitt eine Grimasse, setzte sich auf und sah sich um in der Hoffnung, dass ihre Augen sich an die Schwärze gewöhnen würden. Sie hatte nicht die Absicht, bis morgen früh zu warten, um mit Kade zu sprechen, hatte aber auch nicht das Wagnis eingehen wollen, sich dank Bess in seinem Gemach ertappen zu lassen. Zudem vertraute sie nicht darauf, dass die Magd sie wirklich früh genug wecken würde, um die Unterzeichnung des Ehevertrags zu verhindern.
Ihre Augen, musste sie sich leise seufzend eingestehen, gewöhnten sich keineswegs an die Finsternis. Sie zwang sich aufzustehen. Der Raum war ihr vertraut, und sie würde ihre Truhe auch ohne Licht finden und ein Gewand anlegen können, redete sie sich zu. Averill entdeckte auch die Kleidertruhe, und zwar indem sie mit dem Zeh dagegenstieß. Sie schrie auf, griff nach dem schmerzenden Fuß, hüpfte auf dem anderen zwei Schritte vorwärts und krachte prompt gegen eine andere Holzkiste, woraufhin sie fluchend zu Boden ging. Einen Herzschlag lang lag sie einfach da und horchte in sich hinein. Als sie überzeugt war, keinen dauerhaften Schaden davongetragen zu haben, kam sie wieder auf die Beine. Dann beugte sie sich vor, um nach den Truhen zu tasten. Obwohl sie doch gerade erst in sie hineingelaufen war, schien der Sturz sie wieder außer Reichweite gebracht zu haben. Sie verzog das Gesicht und tat auf der Suche nach den verschollenen Behältnissen zaghaft einen Schritt nach vom, danach noch einen und noch einen. Nachdem sie noch dreimal einen Fuß vor den anderen gesetzt hatte, fuhr ihre Hand über Stein. Sie hielt inne, ließ die Finger nach oben wandern und stellte fest, dass sie die Wand gefunden hatte. Na, prächtig!
Sie schüttelte den Kopf über sich selbst, tastete sich einige Fuß weit an der Mauer entlang und stockte erneut, als sie die Kante des Kamins erspürte.
„Wie zum Teufel bin ich nun hierher geraten?“, murmelte sie verärgert und wandte sich der Mitte der Kammer zu. Da sie jetzt wusste, wo sie war, hatte sie eine ungefähre Vorstellung vom Standort der Truhen und wollte gerade loslaufen, als sie sich zurückhielt. Wenn sie wieder stolperte und stürzte, wäre sie genauso verloren und ziellos wie eben gerade, und wenn sie Pech hatte, konnte sie dieses Spiel ein ums andere Mal wiederholen, ehe sie die Truhen endlich fand und ein Gewand herausgeklaubt und das verfluchte Ding auch noch übergestreift hatte ... Oh ja, das würde ein Spaß werden im Dunkeln.
Wieder schüttelte sie den Kopf und drehte sich zur Wand um. Es war stockfinster, und wenn Kade sich bereits schlafen gelegt hatte, würde auch in seiner Kammer schwarze Nacht herrschen. Er würde nie erfahren, was sie anhatte. Da ihr Zeh noch immer schmerzhaft pochte, dauerte es nicht lange, bis Averill sich selbst überredet hatte. Sie nickte, tastete erneut nach dem Kamin und folgte ihm nach rechts. Am Ende des Simses legte sie die flache Hand auf den Stein darüber, fuhr diesen mit den Fingern entlang, erfühlte noch zwei weitere und ließ die Hand auf dem vierten ruhen, um schließlich nach dem kleinen Zapfen an der Unterseite zu suchen. Erleichtert seufzend fand sie ihn und zog daran. Sie atmete geräuschvoll durch, als die Wand vor ihr beiseiteglitt und ihr ein Schwall feuchtkalter, muffiger Luft entgegenschlug.
Averill rümpfte die Nase über den Geruch nach Alter, Spinnengewebe und Moder, zögerte und spähte in diese neue Art von Schwärze. Stumm und lauernd lag sie da, und Averill war sich recht sicher, dass in dem Tunnel vor ihr ein ganzes Rudel an Ratten oder irgendwelchen anderen abscheulichen Geschöpfen hauste und mit angehaltenem Atem nur auf sie wartete.
Ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Solcherlei Gedanken waren nicht gerade hilfreich, ermahnte sie sich. Sie nahm sich zusammen und schritt durch die Öffnung in der Mauer und hinein in den Gang, wo sie sich nach rechts wandte, in Richtung des Gemachs, das Kade bewohnte. Zufällig war es die Kammer, in der sie als Kind oft gespielt hatte. Im Laufe der Jahre war sie diesen Weg häufig gegangen, und sie glaubte ihn in- und auswendig zu kennen. Als Kind war sie jedoch stets
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