Der Highlander und der wilde Engel
Sichtweite war, ehe sie die Phiole mit der Kräutertinktur aus ihrem Beutel zog. Sie hatte sich angewöhnt, das Säckchen, in dem sie diese aufbewahrte, für Augenblicke wie diesen stets an ihrem Gürtel zu tragen. Als sie einige Tropfen der Mixtur in den Whisky gab, bemerkte sie, dass die Phiole leer war. Sie verzog das Gesicht. Sie hatte drei Fläschchen davon aus Mortagne mitgebracht in der Annahme, das werde reichen. Sollte dieser Becher nicht helfen, würde sie noch an diesem Tag eine neue Tinktur zubereiten müssen.
Sie schüttelte unwillig den Kopf angesichts dieser Aufgabe, hatte sie doch auch so schon genug zu tun. Nachdem sie die leere Phiole zurück in den Beutel hatte gleiten lassen, schritt sie zur Tür von Brodies Kammer.
Sie fand ihn auf der Bettkante sitzend, den Kopf gesenkt, ein Häuflein Elend. Als sie auf ihn zuging, schaute er auf. Bei seinem Anblick überkamen sie kurz Schuldgefühle. Nachdem er nun fünf Tage lang mit Kräutern versetzten Whisky getrunken hatte, sah er noch bemitleidenswerter aus als sein Vater. Er hatte Gewicht verloren und zitterte, streckte die Hand jedoch begierig nach dem Becher aus wie ein Verhungernder nach Nahrung.
Stumm reichte sie ihm das Gefäß, wobei sie darauf achtete, ihm nicht so nahe zu kommen, dass er sie packen konnte. Sie wollte das Gemach gerade verlassen, als sie jäh stehen blieb, da Kade den Türrahmen ausfüllte.
„M-mein Gemahl“, stotterte sie. „I-ich w-wollte gerade ...“
„Kommt her“, unterbrach er sie barsch.
Sie zögerte, trat dann aber zu ihm. Sobald sie ihn erreicht hatte, griff er sie am Arm, drehte sich um und zog sie mit sich aus der Kammer. Er hielt sich nicht damit auf, die Tür zu schließen, sondern führte sie schnurstracks den Gang hinunter zu ihrem eigenen Gemach und schob sie hinein.
Beklommen kaute Averill auf ihrer Unterlippe, als sie sich umwandte, um sich ihm zu stellen. Sie erwartete, dass er ihr gehörig die Hölle heißmachen würde, immerhin hatte sie seinen Befehl missachtet, sich weder seinem Vater noch
Brodie zu nähern. Daher fuhr sie erschrocken zusammen, als er Stattdessen hervorstieß: „Was habt Ihr in den Becher getan?“
Voller Entsetzen riss sie die Augen auf, als ihr aufging, dass er sie auf dem Gang beobachtet haben musste. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „I-ich h-habe ...“ „Hört auf, zu versuchen, mich mit Eurer Stammelei milde zu stimmen“, fiel er ihr ins Wort.
Verständnislos starrte sie ihn an. „I-ich v-versuche d-doch gar nicht ... “
„Frau!“, blaffte er.
Sie seufzte. „E-eine T-tinktur, von der i-ihnen übel w-wird. D-damit sie a-aufhören zu trinken.“
Seine Augen weiteten sich fassungslos. „Ihr habt sie krank gemacht, nicht der Whisky?“
„Aye“, gab sie zu, und Schamesröte stieg ihr in die Wangen. Sie wartete auf seinen Wutausbruch, doch Stattdessen brach er in Gelächter aus.
„Ihr seid wahrlich ein helles Köpfchen“, brachte er heraus, als er sich wieder gefasst hatte.
Averill beäugte ihn unsicher. „Ihr seid nicht böse?“ „Nein, ich bin Euch sogar sehr dankbar. Gawain hat seit Tagen nichts getrunken und wird allmählich zu dem Mann, der immer schon in ihm gesteckt hat. Und es hat mir die Sache mit meinem Vater um einiges leichter gemacht. Er ist überzeugt davon, sterben zu müssen, und hat mir den Titel übereignet, ohne sich trunkenen Kopfes in eine Fehde mit mir zu verstricken“, stellte er fest. „Übrigens hat er den Whisky, den Ihr ihm dagelassen habt, nicht angerührt. Nicht bis zu dem Zeitpunkt jedenfalls, als ich ging, um Euch für die Missachtung meiner Anweisungen zu schelten. Und dann habe ich gesehen, wie Ihr etwas in Brodies Becher gabt.“
Sie verzog das Gesicht. „Gut möglich, dass Gawain ohnehin vom Trinken abgelassen hätte, nun da Ihr wieder da seid“, wiegelte sie ab. „Ich glaube nicht, dass er sich so stark wie Euer Vater und Brodie berauscht hat, und zudem dürfte er andere Gründe gehabt haben. Was nun Euren Vater und Brodie angeht, so mag Euer Vater sehr wohl erneut schwach werden und den Whisky trinken, den ich ihm dagelassen habe. Und Brodie befindet sich nach wie vor in den Klauen dieses Gebräus und verlangt danach. “
Kade zuckte mit den Schultern. „Wenn sie trinken wollen, sollen sie trinken. Doch wenn ihnen jedes Mal davon speiübel wird, werden sie schon irgendwann aufhören. “ „Aye, aber ich habe nichts mehr von der Tinktur und bin mir nicht sicher, ob ich das Kraut hier finden
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