Der Himmel auf Erden
wirklichen Kindesentführung zu tun haben.« Ringmar rieb sein Auge. »Oder könnte der Junge aufgewacht und einfach weggelaufen sein?« Er hörte mit dem Reiben auf. »Das wäre ja auch eine Möglichkeit.«
»Draußen sind viele unterwegs und suchen«, sagte Winter.
»Am Kanal?«
»Auch dort.«
»Hast du ein Foto von dem Jungen?«
Winter nickte zur Tischplatte hin, wo schon die ganze Zeit ein kleines Foto gelegen hatte.
»Wir sind gerade dabei, Abzüge machen zu lassen«, sagte Winter. »Einen Text haben wir schon entworfen.«
»Du weißt, was es mit sich bringt, wenn die Suchanzeige rauskommt?«, fragte Ringmar.
»Die Zeit der Geheimhaltung ist vorbei«, sagte Winter.
»Und der Rest folgt dann wie von selbst«, sagte Ringmar.
»Das ist vielleicht ganz gut so«, sagte Winter.
»Die Presse wird uns die Hölle heiß machen«, sagte Ringmar.
»Hilft nichts.«
»Du scheinst dich ja fast darauf zu freuen, Erik.«
Winter antwortete nicht.
»Was für ein Weihnachten«, sagte Ringmar. »Bist du nicht auf dem Weg nach Spanien?«
»War ich. Angela und Elsa fliegen morgen allein. Ich folge ihnen, wenn es geht.«
»Aha.«
»Was würdest du in meiner Situation tun, Bertil?«
»Das hängt von unserem Verdacht ab. Wenn er sich bestätigt, würde ich keine Sekunde zögern«, sagte Ringmar.
»Wir müssen die Kinder noch mal verhören«, sagte Winter.
3 0
Die Wohnung wurde vom Geist Tom Joads heimgesucht, als Winter sich den Mantel im Flur auszog. Er hörte Elsas Getrappel, das zu ihm unterwegs war. Angela ließ im Schlafzimmer etwas laut zu Boden fallen, und die Musik war laut und böse: The highway is alive tonight, where it's headed everybody knows, noch ein Knall im Schlafzimmer, Elsas leuchtendes Gesicht, er auf Knien.
Draußen hatte es geschneit. Auf seinen Schultern schmolzen immer noch Flocken.
»Willst du mit raus und den Schnee sehen, Elsa?«
»Ja, ja, ja, ja!« Das Trottoir war weiß und der Park auch. »Wir bauen einen Schneemann«, sagte Elsa.
Sie versuchten es, doch es wurde nur ein kleiner. Der Schnee klebte nicht richtig.
»Muss eine Möhre haben für die Nase«, sagte Elsa.
»Aber nur eine ganz kleine.«
»Papa holen?«
»Wir nehmen dieses Stöckchen.«
»Schneemann geht kaputt!«, sagte sie, als sie das Stöckchen in das runde Gesicht gedrückt hatte.
»Dann machen wir eben einen neuen Kopf«, sagte er.
Eine halbe Stunde später waren sie wieder oben. Elsas Wangen waren rot wie Äpfel. Angela kam in den Flur. Springsteen sang von menschlicher Dunkelheit, immer noch in voller Lautstärke, it was a small town bank it was a mess, well I had a gun you know the rest, Angelas Songs, die seine geworden waren.
»Schnee!«, rief Elsa und lief in ihr Zimmer, um einen richtigen Schneemann zu malen.
»Und den soll ich ihr jetzt wegnehmen«, sagte Angela. Sie sah ihn mit einem unbestimmten Lächeln an. »Morgen fahren wir weg von dem ersten weißen Weihnachten ihres Lebens.«
»Der schmilzt noch heute Nacht«, sagte er.
»Ich weiß nicht, ob das pessimistisch oder optimistisch ist«, sagte sie.
»Es kommt immer auf die Umstände an, oder? Positiv, negativ.«
Er hängte den Mantel auf, wischte sich ein wenig Wasser vom Hals und öffnete die obersten Hemdenknöpfe.
»Wo ist denn dein Schlips?«, fragte sie.
»Einer von den Jungs da draußen hat ihn sich geliehen.« Er zeigte mit dem Daumen in Richtung Park.
»Ein Seidenschlips. Das muss der bestgekleidete Schneemann der Stadt sein.«
»Kleider machen Leute«, sagte Winter, ging in die Küche und goss sich einen Whisky ein. »Möchtest du auch einen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du brauchst doch nicht zu fahren«, sagte er. »Ihr könnt zu Hause bleiben, ich zwinge euch nicht.«
»Heute Nachmittag habe ich mir das auch überlegt«, sagte sie. »Aber dann hab ich an deine Mutter gedacht.«
»Sie hätte ja herkommen können.«
»Dieses Weihnachten nicht, Erik.«
»Verstehst du mich?«, fragte er nach kurzem Schweigen.
»Was soll ich sagen?«
»Verstehst du, dass ich jetzt nicht fahren kann?«
»Ja«, sagte sie. »Aber du bist nicht der Einzige in der Stadt, der Verhöre leiten kann oder eine Ermittlung.«
»Das hab ich auch noch nie behauptet.«
»Trotzdem musst du bleiben?«
»Es gilt jetzt… etwas zu Ende zu bringen. Und wir stehen kurz vor dem Ende. Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich muss es… bis zum Ende begleiten. Das kann kein anderer machen.«
»Du bist nicht allein.«
»So meine ich das nicht. Ich rede von mir
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