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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Familiengrab.«
    »Vor einem halben Jahr, sagen Sie?«
    »So ungefähr. Er hat sich für ein Tiefgrab entschieden.«
    »Wo die Toten übereinanderliegen?«
    »Ja. Das braucht weniger Raum und ist kostengünstiger als ein Doppelgrab.«
    |76| »Verstehe. Werden Sie das der Polizei erzählen?«
    »Das muss ich wohl, wenn ich danach gefragt werde. Aber es ist nicht unüblich, dass Leute, wenn sie das Geld haben, für ihre
     Familie eine Grabstätte erwerben.«
    Er nickte. Und um den eingebildeten Zusammenhang beiseitezuschieben, sagte er: »Der normale Termin ist wahrscheinlich schon
     geplatzt, weil Kerstin Karbe noch obduziert werden muss.«
    »Darüber haben Sie aber nichts Genaues gehört?«
    »Nein, nur dass der Leichnam nicht mehr in unserem Krankenhaus liegt, sondern in einer speziellen gerichtsmedizinischen Pathologie.«
    »Das habe ich mir schon so gedacht«, sagte Eschweiler. »Das lässt uns noch ein wenig Zeit.«
    Danach bedankte er sich und sagte: »Ich halte Sie auf dem Laufenden, wenn ich was Neues höre.«
    Dann sagte er noch: »Wir bleiben in Kontakt!«
     
    Er atmete auf, als er den Hörer wieder in die Halterung gestellt hatte. Was hatte er eigentlich erfahren? Weshalb war er so
     bestürzt? Dass Karbe vor einem halben Jahr ein Doppelgrab gekauft hatte, sei nicht unüblich, hatte Eschweiler gesagt. Aber
     Karbe war noch keine fünfzig, und Kerstin Karbe musste wesentlich jünger sein. Was war das für eine düstere, vorauseilende
     Phantasie, ein gemeinsames Grab zu kaufen! Vielleicht war es ein Ausdruck von Depression? Oder die Beschwörung einer infrage
     gestellten lebenslangen Gemeinsamkeit? Bis dass der Tod uns scheidet, wie es in der kirchlichen Trauungsformel |77| hieß. Das war denkbar. Auch dass sich dahinter der Todeswunsch eines Melancholikers verborgen hatte. Aber auf keinen Fall
     ein mörderischer Plan. Auf keinen Fall? Ja, das, was geschehen war, konnte man nicht planen. Es war unberechenbar, viel zu
     zufällig. Obwohl es ein Merkmal eines perfekten Verbrechens sein konnte, wie ein Zufall auszusehen. Woher hatte er das? Dr.
     Kühne hatte es gesagt, der Krimispezialist. Seinen Nachtdienst auf der Intensivstation hatte Kühne jetzt hinter sich. Bevor
     er ging, hatte er wohl noch einmal nach dem Jungen geschaut, hatte ihm in die Augen geleuchtet und war nach einem Blick auf
     den Monitor gegangen. Der schwarze Luftsack, der sich rhythmisch blähte und zusammenzog, arbeitete weiter.
    Das war das bleibende Bild: der weiße Kopfverband, die blicklosen Augen, der blaue Beatmungsschlauch, der schwarze Sack. Kerstin
     Karbe sah er entfernter und undeutlicher als einen leblosen Körper, der von den Feuerwehrleuten aus dem Unglücksauto gezogen
     und auf eine Bahre gelegt wurde. Kurz danach dann die eilige Abfahrt der Rettungsfahrzeuge mit Blaulicht und Sirene. Und Karbe,
     der von der Polizei mitgenommen wurde. Zum Verhör. Seitdem hatte er nichts mehr von ihm gehört.
    Ich muss wieder anrufen, sagte er sich. Aber zuerst musste er den Bericht in der Zeitung lesen, über den Eschweiler so kritisch
     gesprochen hatte, übrigens spürbar überrascht, dass er ihn noch nicht kannte. Jedes Mal, wenn er nach unten ging, musste er
     prüfen, ob er den Wohnungsschlüssel dabeihatte. Vor |78| allem, wenn Frau Meschnik nicht im Büro war, wo ein zweiter Schlüssel hing. Das war eine der vielen kleinen Schwierigkeiten,
     wenn man allein lebte. Für ihn selbst wäre das Leben zu zweit richtig gewesen. Aber der Gedanke war inzwischen fadenscheinig
     geworden. Manchmal glaubte er sogar, dass Claudias Abneigung gegen seine Art zu leben sich auf ihn übertragen und in ihm festgesetzt
     hatte. Manchmal, wenn er allein war, wehte ihn das an, und er spürte, dass das bedrohlich war.
    Vom letzten Treppenabsatz aus sah er die Zeitung auf dem Boden liegen. Der Bote hatte sie durch den Einwurfschlitz geschoben,
     und sie hatte sich im Fallen entfaltet. Als er sie aufhob, sah er schon auf der ersten Seite einen Hinweis auf den Artikel
     im Lokalteil. »Todesfahrt in den Baggersee« stand da. »Die Tragödie einer Familie. Polizei ermittelt.« Das waren die üblichen
     dramatisierenden Stichworte. Er wollte schon mit der Zeitung nach oben gehen, als er sich anders entschloss. Draußen war leuchtendes
     Sommerwetter, ein Grund, das Haus zu verlassen und die Zeitung irgendwo draußen zu lesen. Der Friedhof fiel ihm ein, der nur
     fünf Minuten entfernt war. Dort konnte er natürlich nicht sitzen, aber er wollte einmal

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