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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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empfand, was er dachte, und deshalb so mühelos
     neue Formulierungen produzierte. Aber er war eben auch ein anregender Mensch, den er als einen etwas flüchtigen, aber trotzdem
     zuverlässigen alten Freund betrachtete. Er wollte ihm unbedingt gerecht werden und las weiter. Er verstand alles sofort, aber
     immer oberflächlicher. Das »christliche Weltverständnis« und »das Bewusstsein, von Gott geliebt zu werden« zogen wie wandernde
     Wolken durch seinen Kopf und wurden immer ungreifbarer. Schließlich klappte er das Buch zu, trank den Rest Rotwein und ging
     zu Bett. Beten konnte er nicht mehr, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass ihm jemand zuhörte. Aber das wagte er sich
     kaum |73| einzugestehen. Es war ein Riss in der Welt, der zwischendurch zu heilen schien, aber immer wieder aufbrach. Also musste er
     wohl damit leben, wie so viele andere, im Vertrauen auf den Fortgang aller Dinge. Vertrauen war das Schlüsselwort. Dem Vertrauen
     vertrauen, dachte er.
     
    Am nächsten Morgen – er war verspätet aufgestanden und räumte, noch etwas benommen von seinem unruhigen, mehrfach unterbrochenen
     Schlaf, gerade seine Frühstücksreste auf – rief, ungewöhnlich für diese Zeit, der Bestattungsunternehmer Eschweiler an. Er
     entschuldigte sich und sagte, er sei gestern spätabends von einer Reise zurückgekehrt und habe völlig unvorbereitet heute
     Morgen in der Zeitung den Bericht gelesen. »Das ist ja eine schreckliche Geschichte!«
    »Sie meinen den Unfall am Baggersee?«
    »Ja, natürlich«, antwortete Eschweiler. »Wenn es denn ein Unfall war. Der Bericht ist voller Zweideutigkeiten. Haben Sie ihn
     noch nicht gelesen?«
    »Nein, ich war noch nicht unten. Der Bote steckt die Zeitung immer durch den Zeitungseinwurf in der Haustür, und ich hol sie
     später rauf, wenn der Briefträger geklingelt hat.«
    »Verstehe«, sagte Eschweiler.
    »Sie finden, dass es ein zweideutiger Bericht ist?«
    »Eher könnte man schon von einer getarnten Eindeutigkeit sprechen. Es ist davon die Rede, dass die Polizei wegen des ungeklärten
     Geschehens Ermittlungen eingeleitet hat. In meiner Firma glauben alle, dass es sich entweder um einen gemeinschaftlichen |74| Selbstmordversuch oder um ein Verbrechen handelt. Ich hoffe es ja nicht.«
    »Das kann man doch gar nicht hoffen«, sagte er.
    »Nein, Entschuldigung«, sagte Eschweiler. »Ich wollte nur sagen, es wäre für Sie und auch für mich eine ziemlich schwierige
     Situation, wenn es ein Verbrechen wäre.«
    »Wieso?«, fragte er in dem Gefühl, nichts durchdacht zu haben und nicht richtig in das Gespräch hineingekommen zu sein.
    »Nun ja«, sagte Eschweiler. »Soviel ich bisher mitbekommen habe, sind die Leute jetzt schon aufgebracht und verlangen nach
     einem Schuldigen. Und Sie, lieber Herr Henrichsen, müssen doch bei der Trauerfeier reden. Vor allem ist da ja auch die Familie.«
    »Welche Familie?«
    »Kerstin Karbes Eltern. Die sind doch auch betroffen. Und die hatten von Anfang an kein gutes Verhältnis zu ihrem Schwiegersohn.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß es zum Teil von Karbe selbst. Aber auch von anderen Leuten. Sie war eine Schülerin von Karbe und hat ihn gegen den
     Willen ihrer Eltern geheiratet. Das war vor acht Jahren ein großes Thema im Ort.«
    »Das kann ich ja nicht wissen. Und ich muss es auch nicht wissen. Für mich ist Karbe ein Mann, der seine Frau und sein Kind
     verloren hat und deshalb Zuwendung braucht. Auch und sogar gerade, falls er an dem Unfall schuld ist.«
    »Natürlich«, sagte Eschweiler. Offenbar wollte er nicht streiten.
    |75| Stattdessen fragte er: »Haben Sie schon mit Karbe gesprochen?«
    »Am Unfallort, ein paar Worte. Er war im Grunde fast stumm.«
    »Ach, Sie waren dort in der Unglücksnacht?«
    »Ich bin gerufen worden. Als ich ankam, wurde gerade der Wagen mit der Frau und dem Kind geborgen. Beide waren leblos und
     wurden in die Rettungswagen gebracht.«
    »Und Karbe?«
    »Der stand unter Schock.«
    »Haben Sie inzwischen wieder mit ihm gesprochen?«
    »Leider nein. Sein Telefon ist abgeschaltet. Aber das kann man ja verstehen.«
    »Ja, so wie die Stimmung sich entwickelt, würde er wahrscheinlich von anonymen Anrufern beschimpft und bedroht werden.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Aber er ist auch ein merkwürdiger, verschlossener Mensch. Jemand, der sich abkapselt – sich und seine Familie.«
    »Woher kennen Sie ihn?«
    »Vor einem halben Jahr besuchte er mich, um einen Grabplatz zu erwerben, ein

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