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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Renovierung, dachte er. Endlich ein bisschen Überfluss nach all der Kargheit und Selbstüberforderung seines alltäglichen
     Lebens und den menschlichen Unzulänglichkeiten und Widersprüchen, von denen er umgeben war.
    |171| Er trank sein Glas aus und ließ sich nachschenken. Wegen der schönen dunkelroten Farbe des Weins hielt er das Glas einen Augenblick
     ins Lampenlicht, bevor er einen neuen Schluck nahm. Es war der Ahrburgunder, ein reicher, fülliger Wein, den er noch nie getrunken
     hatte und von dem er auch noch nie etwas gehört hatte. Heute Abend hatte jeder Schluck Wein etwas Lösendes, Bestätigendes.
     Trinken war wie sich entfaltender Sinn. Das war nur in Gesellschaft von Freunden so. Wenn er allein war, trank er die minderen
     Sorten, die er im Kiosk bekam, mit einem Gefühl von notdürftig beschwichtigter Einsamkeit. Doch heute Abend schwebte er im
     Einklang mit sich und seinen Freunden.
     
    Zum abschließenden Espresso setzten sie sich wieder an den runden Glastisch. Angelika erzählte, dass sie eigentlich zu viert
     hätten sein sollen. Ihre Cousine, die als seine Tischnachbarin vorgesehen war, hatte leider im letzten Moment abgesagt.
    »So war es eigentlich viel schöner«, sagte er. »Nicht so gesellschaftlich. Ich hab mich wirklich sehr wohlgefühlt als einziger
     Gast. Wenn die Fünf eures Jahrestages eine Null hinter sich hat, sollten wir das wiederholen.«
    »O Gott«, sagte sie. »Goldene Hochzeit! Das war jetzt aber ein Riesensatz.«
    »Darauf trinken wir noch«, sagte Rainer. »Du kannst ja hier bei uns übernachten.«
    »Nein danke«, sagte er. »Ich muss nach Hause. Wirklich, ich fahr jetzt noch.«
    |172| Plötzlich hatte ihn der Gedanke überfallen, dass er nicht schlafen könne in der Nähe dieses Paares. So sehr er sich während
     des ganzen Abends eingebunden gefühlt hatte, so entschieden würde er sich in der Nacht auf sich zurückgeworfen fühlen. Das
     war ihm plötzlich klar. Er würde kein Auge zutun können. Alles, was sein Leben beschwerte, alle Versagungen und Versäumnisse
     würden wieder über ihn herfallen, und am Morgen würde er wie benommen am Frühstückstisch erscheinen, und alles, was an diesem
     Abend so gelungen war, würde einstürzen. Auf keinen Fall wollte er das.
    »Sei nicht unvernünftig«, sagte Angelika. »Du hast viel zu viel getrunken, um noch Auto zu fahren. Außerdem hat es heftig
     angefangen zu regnen. Du kannst einen Schlafanzug von Rainer bekommen, Zahnbürste und alles, was du brauchst. In unserem Gästezimmer
     kannst du schlafen, solange du willst.«
    »Nein danke«, sagte er. »Ich muss morgen früh raus. Es ist ja nicht weit. Und ich kenn die Strecke auswendig. Außerdem bin
     ich ganz okay.«
    Er sah es ihnen an, dass sie ihn beide merkwürdig fanden. Aber das konnte er verkraften, indem er gleich aufbrach im Eigensinn
     seiner leichten Betrunkenheit. Hauptsache, sie wussten nicht, was er wirklich empfand. Er selbst hatte oft genug lernen müssen,
     seine Schwächen und Abwegigkeiten zu verbergen. Ich muss diesen Abend retten, dachte er. Ich muss gehen. Auch wenn sie es
     nicht verstehen.
     
    |173| Sie standen beide in der erleuchteten Haustür, während er im Regen schräg über die strömend nasse, dunkel glänzende Straße
     zu seinem Auto lief und noch einmal winkte, forsch und freundschaftlich, bevor er einstieg, den Motor startete und die Scheinwerfer
     einschaltete.
    Der Regen fiel wirklich dicht. Die Scheibenwischer schoben den Wasservorhang auf der Frontscheibe kaum beiseite. Aber er fuhr
     und hatte alles im Griff. Angestrengt starrte er in Richtung der beiden Lichtarme in das Regendunkel, das zunehmend verschwamm,
     weil sich die Innenseite der Scheibe beschlug. Im Augenblick hatte er nichts außer seinem Taschentuch. Vorgebeugt und einhändig
     lenkend versuchte er eine kleine Stelle in der Scheibe frei zu wischen, die immer wieder beschlug. Aber er kannte ja die Strecke,
     kannte sie fast allzu gut. Jetzt begann die weite Kurve nach links wie eine einladende Geste, ein pompöser Eigensinn der Straße.
     Rechts von ihm musste gleich der Abhang zum Baggersee kommen. Er konnte ihn nur ahnen, nicht zur Seite blicken. Wasser floss
     in Strömen über die Straße. Dahinter kamen die Scheinwerfer eines kaum erkennbaren Autos auf ihn zu. Erst schräg, dann fast
     gerade, aber immer noch so, als würde er gleich von dem fremden Wagen gestreift und von der Straße gestoßen werden. So dicht,
     so mächtig, ein dunkler, undeutlicher

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