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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Sonntagsgottesdienst in Imhoven
     Matthäus 7, Vers 1 ›Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet |180| werdet‹ in den Mittelpunkt seiner Predigt gestellt hatte und dabei auf den Fall Karbe und die Reaktionen aus der Gemeinde
     zu sprechen gekommen war, hatten in den hinteren Reihen einige Leute die Kirche verlassen. Das hatte sich natürlich herumgesprochen.
     Er hatte eine Sondersitzung des Presbyteriums einberufen, die aber wegen mehrerer Absagen nicht zustande gekommen war. Das
     Schlimmste war danach passiert. Er erfuhr es morgens durch einen Anruf, während er gerade mit Frau Meschnik die Post besprach.
     Sie nahm den Anruf in Empfang, hörte einen Augenblick zu und reichte den Hörer stumm, mit einer Miene, die etwas Ernsthaftes
     ankündigte, an ihn weiter: Jemand hatte in der Nacht über Karbes Haustür in großen roten Buchstaben die Inschrift ZUM NASSEN
     TOD gesprayt. Als er noch am selben Vormittag hingefahren war, hatte Karbe oder jemand anderes die Buchstaben schon überstrichen,
     aber man konnte sie noch schattenhaft ahnen. Trotz seines hartnäckigen Klingelns hatte Karbe nicht geöffnet und war auch
     nachher telefonisch nicht erreichbar gewesen.
    Frau Meschnik, eigentlich eine unerschütterliche Person, zeigte in diesen Tagen zunehmende Besorgtheit, ohne dass er sich
     klar darüber werden konnte, was sie dachte und von ihm erwartete. Vielleicht wusste sie es selbst nicht. Vielleicht erwartete
     sie einfach von ihm, dass er die Dinge endlich wieder in den Griff bekam, und sah täglich seine Ratlosigkeit angesichts des
     lähmenden Stillstandes, der auch für ihn so aussah, als hätten einflussreiche Akteure im Hintergrund ihm stillschweigend die
     Dinge aus der Hand genommen.
    |181| Eschweiler, der wie er auf einen Termin für die Bestattung von Kerstin Karbe wartete, hatte die Vermutung geäußert, dass es
     sich bei den beiden Strafanträgen wegen vollendeten und versuchten Mordes, die Kerstins Eltern bei der Staatsanwaltschaft
     eingereicht hatten, um ein Verzögerungsmanöver handele, mit dem sie verhindern wollten, dass ihre Tochter als Karbes Frau
     beerdigt wurde. Denn die Vorstellung, dass sie später einmal zusammen mit Karbe in einem Grab liegen würde, sei für sie der
     pure Horror. Sie wollten wohl erreichen, dass Kerstin in ihrer Nähe beerdigt werde. Ebenso das unrettbare Enkelkind, dessen
     künstliche Beatmung in absehbarer Zeit beendet werden musste, wozu man allerdings die Einwilligung von Karbe brauchte. Offenbar
     hatte Karbe die bisher verweigert.
    »Warum bloß?«, hatte er gefragt.
    Und Eschweiler hatte echohaft geantwortet: »Ja, warum?«
    Dann hatte er hinzugefügt: »Es ist eine Art Stellungskrieg. Karbe hält fest, was er hat. Vielleicht weil er glaubt, es würde
     als Eingeständnis seiner Schuld gedeutet, wenn er seine Rechte als Ehemann und Vater aufgäbe.«
    »Aber kann es nicht auch die Unerträglichkeit des Verlustes sein?«, hatte er eingewandt.
    »Vielleicht auch das«, hatte Eschweiler gesagt. »Es ist eben immer ein dickes Knäuel von Motiven, das sich nicht ganz aufdröseln
     lässt. Aber ist der Verlust nicht längst eingetreten?«
    Er schien damit anzudeuten, dass es keinen Sinn |182| habe, weiter über solche Subtilitäten nachzudenken. Sie waren in seinen Augen praxisfern und führten nur in Verwirrung. Doch
     nach seiner Auffassung enthielt der Fall Ansätze für eine Lösung. Die Eltern von Kerstin Karbe hatten mit ihren Strafanträgen
     eine Position aufgebaut, die nicht besonders stark war. Zu einem vorläufigen Aufschub der Bestattung hatten sie wohl gerade
     noch gereicht. Doch wenn bei den laufenden Untersuchungen keine neuen belastenden Details gefunden wurden, mussten die Anträge
     ihre Triftigkeit verlieren.
    Gerüchteweise sei von Kopfverletzungen bei Kerstin Karbe zu hören gewesen. Das passte gut zum Schema eines Unfalls und nötigte
     deshalb nicht die viel schwieriger zu beweisende Annahme auf, während der Fahrt zum Baggersee habe ein Gewaltakt stattgefunden,
     zum Beispiel um die Frau wehrlos zu machen, bevor das Auto in den See stürzte. Möglicherweise hatte es vorher Anzeichen drohender
     Gewalt gegeben, Wutausbrüche und Todesdrohungen, mit denen Karbe die ihm entgleitende Frau einzuschüchtern versucht hatte.
     Vielleicht hatten Kerstins Eltern auch Spuren von Verletzungen an ihrer Tochter gesehen. Aber ein so prozesserfahrener Mann
     wie Hermann Sievert wusste natürlich, dass seine Position viel hypothetisches Material

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