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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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will Karbe auch.
     Es hat schon angefangen mit dem Kauf der Grabstätte. Seine Ehe war da wohl schon zerstört.«
    »Nach allem, was man darüber hört.«
    »Das könnte einen wirklich auf Gedanken bringen.«
    »Ja«, sagte Pfeiffer.
    »Führen Sie eigentlich Protokoll über Ihre Besuche bei Karbe?«
    »Selbstverständlich. Das gehört zu meiner Aufgabe |189| . Die Behörde muss sich ja absichern, falls was passiert. Und ich mich natürlich auch.«
    »Das verstehe ich. Der Zustand, den wir heute gesehen haben, lässt ja alles vermuten.«
    »Ausschließen kann man in diesem Fall nichts.«
    Sie fuhren jetzt durch die offene Landschaft zwischen den beiden Ortschaften, die zu seiner Gemeinde gehörten. Die Kornfelder
     waren abgeerntet und sahen wie rasiert aus. Dazwischen standen wie dichte, stumpfgrüne Blöcke die Maisplantagen, die sich
     von Jahr zu Jahr weiter ausgebreitet hatten. Dahinter war der Fichtenwald zu sehen, in den die Herbststürme des vergangenen
     Jahres tiefe Brachen gerissen hatten, die jetzt von einem Meer leuchtend gelber Blumen überblüht waren. Dort, wo der Wald
     an die Straße heranrückte, warteten große Stapel auf gleiche Länge zurechtgesägter Baumstämme seit Monaten auf ihren Abtransport.
     Anscheinend gab es seit den Herbststürmen ein Überangebot an Holz. Er ließ seinen Blick daran vorbeigleiten, dann sagte er:
     »Wir haben eine Krise in der Gemeinde, die ich nicht in den Griff bekomme.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Pfeiffer.
    »Der Fall Karbe löst zerstörerische Phantasien aus. Ein unheimliches Potenzial an Bosheit und Hass.«
    »So sind eben die Menschen«, sagte Pfeiffer. »Andere gibt es nicht.«
    Irgendjemand hatte das gesagt. Irgendeine historische Person. Er wusste nicht mehr, wer es gewesen war. Aber er wollte Pfeiffer
     nicht fragen, der es sicher auch nicht wusste.
    |190| Bei seiner Rückkehr ins Büro erzählte er Frau Meschnik von dem katastrophalen Eindruck, den Karbe auf ihn gemacht hatte.
     Schließlich sagte er, ein wenig kleinlaut, um sie zu beschwichtigen: »Ich glaube, ich muss unbedingt mal mit den Eltern von
     Kerstin Karbe reden. Auch schon wegen der Beendigung der künstlichen Beatmung des Kindes. Sie sind die nächste wichtige Adresse.«
    »Das habe ich ja schon immer gesagt«, antwortete sie.
    »Gut, dann machen Sie mir doch bitte einen Termin für die nächsten Tage.«
    »Ich versuch es sofort«, sagte sie.
    Aber bei Sieverts meldete sich niemand. Auch nicht in den nächsten Tagen. Vermutlich waren sie verreist, um sich allen aufdringlichen
     Anfragen und Belästigungen zu entziehen. Ein weiterer Anruf in der Firma bestätigte diese Vermutung.
     
    Inzwischen hatte sich der Schwelbrand immer weiter gefressen. Auf die Fassade von Karbes Haus war erneut ein aggressives Graffito
     gesprayt worden. Und ihm selbst war zwei Tage später im Gottesdienst etwas Erschreckendes passiert: Beim Lesen des Glaubensbekenntnisses
     hatte er wie jemand, der sich bei einem falschen Geständnis ertappt glaubt, würgende Atemnot bekommen und nur mit gepresster
     Stimme und unbegründeten Pausen weitersprechen können. Es war eine sausende Panik, die wie eine schwarze Woge über ihm zusammenschlug.
     Nur entfernt hörte er seine eigene, fremd gewordene Stimme, wie sie kaum verständliche |191| Wortfetzen hervorstieß, als hätte eine mächtige Hand den Text in seinem Kopf in Stücke gerissen. ›Ich muss sterben‹, hatte
     er gedacht. In dem bodenlosen Schrecken, der ihn erfasst hatte, war ihm das als der einzige ihm verbliebene Fluchtweg erschienen.
     Die Geistesgegenwart des Organisten hatte ihn mit einer an dieser Stelle nicht vorgesehenen Orgelsequenz gerettet. Gegen allmählich
     abflauende Schwindelgefühle ankämpfend und mit immer noch rauer Stimme hatte er den Gottesdienst zu Ende gebracht. Gleich
     danach hatte er die Kirche durch den Hintereingang verlassen. Begleitet von den scheuen Seitenblicken heimkehrender Kirchenbesucher
     war er nach Hause gegangen und hatte sich so wie er war aufs Bett fallen lassen. Trotz seines hartnäckig läutenden Telefons
     hatte er sich über eine Stunde nicht gerührt und alle Gedanken, die ihm zu kommen drohten, abgewehrt. Als er schließlich aufgestanden
     war, um etwas zu trinken und sich etwas zu essen zu machen, hatte er sich mit der Langsamkeit und Vorsicht eines Menschen
     bewegt, der die einfachen Lebenstechniken erst wieder lernen musste. Auch Frau Meschnik war offenbar über sein Desaster informiert,
     als sie am

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