Der Himmel ist kein Ort
diesem Sekretär geschrieben hatte.
Er stellte das Bild gerade wieder hin, als sie mit einem Tablett voller Teegeschirr hereinkam.
»Hast du mich erkannt?«, fragte sie.
»Ja, ich hab’s mir gleich gedacht, dass du es bist, als ich es von der Couch aus gesehen habe. Es ist sehr schön und poetisch.
Auch wenn es ein wenig gestellt wirkt.«
»Es ist mein verlorenes Ich. Damals war ich auf dem Weg, Violinsolistin zu werden. Ich hatte Auszeichnungen und Stipendien
bekommen. Aber ich bin den Weg nicht weitergegangen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich geheiratet habe. Und zwar einen Mann, der mich verwöhnt und entmündigt und ganz für sich beansprucht hat. Viele
dachten, ich hätte das große Los gezogen. Lange Zeit habe ich mir das auch selbst eingeredet. Ich hab mir gesagt, dass ich
es ohnehin nicht geschafft hätte, eine berühmte Geigerin zu werden, und stattdessen dieses privilegierte Leben gewählt hatte.
Ich war damit einverstanden. Glaubte es jedenfalls. Bis die Umstände sich änderten.«
»In welcher Hinsicht?«
»Ach, lassen wir das! Ich möchte jetzt nicht daran denken. Lass uns Tee trinken.«
|269| Da es ein wenig dämmrig im Raum war, denn vor dem Fenster breitete sich das dichte Laub einer Platane aus, schaltete sie die
Stehlampe an und verteilte das Teegeschirr auf dem niedrigen Tisch. Dabei stellte sie die bisherige Sitzordnung wieder her.
Er saß auf der Couch, sie neben ihm in einem großen muschelförmigen Sessel, den sie ihren Fernsehsessel nannte. Sie saß dort
dicht bei ihm mit übereinandergeschlagenen Beinen, die im Lampenlicht schimmerten. Er bemühte sich, nicht auffällig hinzusehen,
weil sie mehrmals den Saum ihres Kleides über ihre Knie zog, während sie ihm von ihrer Arbeit im Konsulat erzählte. Er konnte
seinen Blick nicht von ihr wenden. Sie spürte wohl die wachsende Spannung, ließ sich aber nichts anmerken und redete weiter,
obwohl das Thema nichts mehr hergab. Ja, ihre Kollegin war für zwei Jahre zurück nach Argentinien gegangen. Wenn sie zurückkam,
würde sie wieder in die Wohnung einziehen wollen.
»Das ist ja noch ziemlich viel Zeit«, sagte er.
»Die vergeht schnell«, sagte sie.
»Im Rückblick. Zuerst erscheint sie einem lang.«
»Vor allem, wenn man wartet. Aber das ist besser, als nicht mehr zu warten.«
»Hat es das gegeben in deinem Leben?«
»Was meinst du?«
»Nicht mehr zu warten.«
»O ja. Eine lange Zeit.«
Sie trank einen Schluck Tee. Dann sagte sie: »Du hast Erfahrung mit solchen Gesprächen.«
»Hab ich dich gelangweilt?«
|270| »Nein. Aber ich hab mir vorgestellt, wie du mit deinen Klienten sprichst.«
»Mit meinen Klienten?«
»Mit den Gläubigen oder Ungläubigen, die in deine Sprechstunde kommen.«
Sie machte eine Pause. Dann sagte sie: »Wir müssen keine Konversation machen. Wir müssen gar nichts!«
Es hatte ärgerlich geklungen, ungeduldig über etwas, das schiefgelaufen war in ihrem kurzen Gespräch. Vielleicht weil er sie
nach etwas gefragt hatte, was sie vergessen wollte. Aber er war sich nicht sicher.
Er war es nicht gewöhnt, dass jemand so plötzlich aus einem Gespräch ausbrach. Nun wusste er wieder, dass sie eine sensible,
anspruchsvolle Person war. Er war gerade dabei gewesen, es zu vergessen. Aber einschätzen konnte er sie nicht. Denn unerwartet
sagte sie: »Wenn du nichts dagegen hast, komm ich ein wenig zu dir auf die Couch.«
»Ja natürlich«, sagte er.
Es war auch nicht gerade das richtige Wort. Aber sie stand auf und setzte sich neben ihn. Bevor er irgendwie auf sie reagieren
konnte, sagte sie: »Zeig mir mal deine Hände.«
Er gab ihr die eine und die andere Hand, und sie betrachtete sie aufmerksam wie seltene Fundstücke.
»Du hast schöne Hände«, sagte sie. »Doch die Nägel hast du vernachlässigt. Das werde ich jetzt in Ordnung bringen.«
Damit stand sie auf, holte ein Necessaire und ein Handtuch aus dem Badezimmer, ließ sich wieder eine Hand geben und begann
sorgfältig und behutsam mit |271| einer Feile seine Fingernägel zu bearbeiten. Dabei sprach sie darüber, wo sie zu Abend essen würden. Sie dachte an ein Restaurantschiff
am Elbufer in Blankenese, wo es guten Fisch gab und hoffentlich noch einen Zweiertisch für sie beide.
»Ich lade dich ein«, sagte sie. »Du bist heute mein Gast.«
Er widersprach nur der Form halber. Es war unübersehbar, dass sie die Regie übernahm, und er wusste nicht, was sie damit bezweckte.
Wollte sie ihn kontrollieren und auf
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