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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gideon Samson
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und die Frau mit dem Rock holen sich beide einen Stuhl und stellen ihn neben das Bett. Sie setzen sich.
    »Wie fühlst du dich?«, fragt die Frau mit dem Rock.
    »Ich bin müde«, sagt Jani.
    Die Frau mit dem Rock nimmt Janis Hand. Der Mann mit dem Schnurrbart nimmt die Hand der Frau. Sie bilden einen kleinen Zug. Jani ist die Lokomotive. Er ächzt und schnauft.
    »Hans«, sagt die Frau mit dem Rock. »Lies etwas.«
    Der Mann mit dem Schnurrbart nickt. Er lässt ihre Hand los und holt ein Buch aus der Tasche. Es ist eine Bibel.
    »Ich lese aus Johannes«, sagt er. Zu Jani sagt er das, aber Jani antwortet nicht.
    Der Mann mit dem Schnurrbart blättert durch die Bibel und fängt dann an zu lesen. Es handelt von einem Vater. Und einem Sohn. Weiter kann ich ihm nicht folgen. Trotzdem finde ich es schön, dass so etwas in der Bibel steht. Wenn wir uns daheim mit der Bibel und dem Himmel abgäben, könnte Mama mir vielleicht etwas von einer Mutter und einer Tochter vorlesen.
    Jetzt liest der Mann mit dem Schnurrbart von der
Liebe Gottes
. Es klingt wie etwas Gutes. Etwas, das einem viel gibt. Und ich sehe es auch an ihm. Und an der Frau mit dem Rock. Liebe ist wichtig.
    Ich zähle, bis der Mann mit dem Schnurrbart die Seite umblättert. Aber er blättert sie nicht um. Als ich bei sechsundsiebzig bin, sagt die Frau mit dem Rock: »Hör auf, Hans. Er schläft.«
    Der Mann mit dem Schnurrbart hört auf. Er legt die Bibel auf Janis Nachtschränkchen und schaut zu der Frau mit dem Rock. Die schaut zu Jan. Sie sind still. Ich zähle weiter.
    Hundert. Zweihundert. Fünfhundert. Tausend.
    Jani schläft und schläft. Und der Mann und die Frau schauen ihn an.
    Harry kommt herein. Mit Medikamenten, denke ich. Aber er geht sofort wieder.
    Der Mann mit dem Schnurrbart und die Frau mit dem Rock flüstern. Ich kann sie nicht verstehen. Dann stehen sie auf. Ich sehe zu dem Mann mit dem Schnurrbart. Er schaut kurz zurück. Mir wird ganz warm davon und ich blicke schnell in eine andere Richtung.
    Der Mann und die Frau nehmen sich wieder bei der Hand. Dann gehen sie weg. Jani wacht nicht auf. Auf seinem Nachtschränkchen liegt die Bibel. Ich glaube nicht, dass er sie lesen wird.
    In drei Stunden kommen Oma und Opa. Aber ich will, dass sie
jetzt
kommen. Ich werde keine drei Stunden warten. Wenn ich ganz fest die Augen zukneife, schlafe ich vielleicht ein. Und dann träume ich und am Ende des Traums sind sie da.
    Es klappt nicht. Ich bin viel zu wach. Was soll ich machen? Lesen ist zu anstrengend. Auf einen Film habeich keine Lust. Ich könnte kurz aus dem Bett schlüpfen. Aber dann bin ich nachher zu krank, mich mit Oma und Opa zu unterhalten.
    Ich weiß, was ich tue. Ich werde Papa anrufen. Neben meinem Bett steht ein Telefon. Mein Telefon. Mama will nicht, dass ich den ganzen Tag lang angerufen werde, also hat fast niemand meine Nummer. Nur sie selbst. Und Robert de Koning. Und Oma und Opa, aber die rufen nie an. Die denken, sie würden stören, wenn sie anrufen. Die kommen viel lieber selbst zu mir.
    Das Telefon am anderen Ende der Leitung klingelt. Jemand hebt ab.
    »Renate de Koning, guten Tag?«
    Oh nein. Was soll das denn? Nennt sie sich auf einmal auch de Koning? Das geht doch nicht. Darauf habe ich überhaupt keine Lust.
    »Seid ihr verheiratet oder so?«, frage ich.
    »Grüß dich, Belle«, sagt Renate. »Wie geht es dir?«
    »Schlecht.«
    »Es tut mir so leid, das zu hören, Liebes.«
    Renate nennt sich selbst de Koning und mich Liebes. Ich weiß nicht, was sie sich noch alles einbildet.
    »Ich habe deinen Stein aufgegessen«, sage ich.
    »Was?«
    »Deinen Wunderstein.«
    Renate bleibt still. Ich mache weiter.
    »Hat aber nichts geholfen«, sage ich. »War auch schwer, ihn runterzuschlucken.«
    Renate weiß nicht, ob sie mir glauben soll. Sehr schön.
    »Soll ich dir Robert kurz geben?«, fragt sie.
    Ich nicke. Das kann sie nicht sehen. Trotzdem geht sie und holt Papa. Ganz sicher.
    »Prinzesschen!«, klingt es durchs Telefon. Das ist der echte König.
    »Grüß dich, Pa«, sage ich. »Ich bin so krank.«
    »Soll ich zu dir kommen?«, fragt Papa.
    »Nein«, sage ich. »Ich wollte einfach ein bisschen mit dir plaudern.«
    Papa kann nicht plaudern. Er weiß nicht, wie das geht. Wenn ich plaudern will, sagt er immer die dümmsten Sachen.
    »Renate und ich fahren eine Woche nach Italien«, sagt Papa.
    Seht ihr? Dümmer geht es wirklich kaum.
    »Nett«, sage ich.
    Papa erzählt, dass sie zu Bobs Häuschen fahren. Bob ist unser früherer

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