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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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Gläser standen. Dann setzte ich mich neben sie auf den Besucherstuhl. Mein Widerwille war enorm. Die Schwäche, die ich an meiner Mutter immer so verachtet hatte, war nun grotesk vergrößert, so wie sie dalag. Ich verfluchte mein Pflichtbewusstsein und wünschte, ich hätte die Kraft gehabt, den Besuch zu unterlassen. Zudem verpasste ich wegen der Reise eine Prüfung, und es ärgerte mich, dass ich nun noch zwei weitere Wochen warten durfte, bis ich meine Kenntnisse in Wirtschaftsstatistik unter Beweis stellen konnte. Ich wusste genau, wohin ich wollte, und dies hier war definitiv ein Umweg.
    Mama versuchte, nach meiner Hand zu greifen, doch um ihre Berührung zu vermeiden, tat ich so, als müsse ich mir durchs Haar fahren. Ich stellte ein paar Fragen nach ihrem Befinden und lauschte ohne wirkliches Interesse ihrer verwirrten Antwort, wie sie und die Ärzte ihren Zustand beurteilten. Nach zehn Minuten begann ich auf die Uhr zu schielen. Konnte ich jetzt schon gehen? Der Arzt hatte gesagt, dass es ihr sehr schlechtgehe, dass sie innerhalb der nächsten 24  Stunden operiert werden solle, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass es so schlimm um sie stand. Sie war bei Bewusstsein, sie sprach und konnte sich bewegen, wenn auch etwas eingeschränkt.
    Gerade als ich aufstehen wollte, fasste sie mich am Ärmel meines Blazers, so dass ich nicht wegkam, ohne mich definitiv losreißen zu müssen.
    »Rebecka«, sagte sie, und ihr standen die Tränen in den Augen. Ich konnte das nicht mit ansehen. »Mein Kind … Kannst du mir verzeihen?«
    »Was soll ich dir verzeihen?« Ich zuckte mit den Schultern und tat so, als wüsste ich nicht, wovon sie sprach.
    »Dass ich nicht die Mutter war, die du dir gewünscht hast. Dass ich dich enttäuscht habe.«
    »Ach, lass’ das …« Mein Ton war scharf, und ich machte eine ruckartige Bewegung, so dass mein Ärmel ihr entglitt. »Ich muss jetzt gehen. Gute Besserung. Bis bald.«
    Eilig ging ich zur Tür und hätte beinahe noch eine Schwester angerempelt, die gerade mit einem Tablett in der Hand auf dem Weg ins Zimmer hinein war. Ihren Blick empfand ich als vorwurfsvoll, aber vielleicht lag das nur am Stress und Personalmangel. In der Sekunde, in der ich ihr Platz machte, hörte ich meine Mutter etwas wimmern. Ich konnte ihre Worte nicht verstehen, doch als ich mir später – als ich allein war – die Szene wieder und wieder in Erinnerung rief, klang es immer mehr wie ein langgezogenes »Lebewohl«.

»Ich glaube, sie meinte es gut. Trotz allem.«
    »So ist es.«
    »Sie konnte es nicht besser.«
    »Mensch zu sein ist nicht leicht.«
    »Wenn ein Engel so etwas sagt, klingt es ein wenig zynisch.«
    »Das war nicht meine Absicht.«
    »Beruhige dich. Ich habe nur Spaß gemacht.«
     
    »Was glaubst du, wie geht es Mikael?«
    »Er heilt seine Wunden. Genau wie du.«
    »Ich vermisse ihn.«
    »Ich weiß.«
    »Aber es tut nicht mehr weh.«
    »Auch so kann Liebe sein.«

Mikael strich sich die Hände an seiner Jeans ab. Die Druckerschwärze klebte ihm an den Fingern. Jetzt war der letzte Karton geschafft, die halbe Nacht lang hatte er gepackt, um fertig zu werden, und die Müdigkeit merkte man seinen Bewegungen an. Der Umzugswagen sollte gegen neun Uhr eintreffen. Jetzt war es bereits Viertel nach neun, und als es an der Tür klingelte, war er überrascht, Stellan zu sehen anstelle der Möbelpacker.
    »Du hast bestimmt noch nicht frühstücken können?«, fragte er, nachdem er Mikael freundschaftlich auf dessen schmerzenden Rücken geklopft hatte.
    »Nein.«
    »Siehst du, das habe ich mir gedacht.« Stellan hielt die Tüte vom Laden um die Ecke hoch. »Kaffee, Brötchen, Saft, ein Joghurt und ein Apfel. Na, was sagst du dazu?«
    Mikael lachte. »Du bist wirklich ein guter Freund, weißt du das?«
    »Wenn du das sagst …« Stellan grinste und reichte Mikael die Tüte, die dieser dankbar entgegennahm.
    »Das ist vielleicht eine Schufterei mit diesen Kartons. Umziehen ist wirklich mordsmäßig anstrengend. Ich hatte das fast vergessen, obwohl es ja zu meinem Job gehört, die Leute den lieben langen Tag zum Umziehen zu bewegen.«
    »Eine Wohnung zu verkaufen ist eben nicht dasselbe wie sie leer zu räumen.«
    »Das viele Geschirr … Wie viele Teller und Gläser braucht ein Mensch?«
    »Keine. Du kannst deine Hände formen und direkt aus dem Wasserhahn trinken. Oder höchstens eine Kunststofftasse … Aber jetzt kümmere dich mal um dein Frühstück, ich nehme an, uns steht noch einiges an

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