Der Himmel ueber Dem Boesen
Pfarrgemeinderatsvorsitzende, James Bull-Davies, wirkte fast amüsiert. «Ich hatte das immer so verstanden, dass der Pfarrer für diese kurze Zeitspanne jeden Sonntag eine Art Sprachrohr des Allmächtigen sein soll. Durchflutet vom Heiligen Geist. Oder sehe ich das falsch?»
Merrily sehnte sich nach einer Zigarette.
«Das ist ein bisschen unfair, Mr. Davies.» Die sanfte Stimmemit dem leicht irischen Einschlag von Mrs. Jenny Box trieb wie Rauch aus einer Ecke des Raumes. «Mrs. Watkins hat sich einfach nur bescheiden gezeigt. Und wenn das nicht eine der wesentlichen Forderungen Gottes an uns alle ist, dann weiß ich nicht, was sonst.»
«Oh
Gott
!» James Bull-Davies lehnte sich abrupt zurück, begleitet von einem knirschenden Geräusch seines Holzstuhls. Er winkte entnervt ab. «Hat jemand etwas dagegen, wenn wir mit
unserem
Programm weitermachen? Sonst sitzen wir hier noch bis zur Sperrstunde.»
James führte den Vorsitz beinahe militärisch. Aber es war gut, dachte Merrily, ihn wiederzuhaben. Er hatte über ein Jahr lang nicht am Dorfleben teilgenommen, um seine privaten Angelegenheiten zu ordnen. Jetzt betrieben er und Alison eine professionelle Pferdezucht, und das undichte Dach von Upper Hall wurde neu gedeckt.
In der halbfeudalen Vergangenheit war es selbstverständlich gewesen, dass vom Vermögen der Bulls auch die Gemeindekirche unterhalten wurde; heutzutage jedoch war allgemein bekannt, dass der zerknitterte Zehner in der Kollekte James’ Obergrenze war. Die Kirche war auf sich gestellt. Sie brauchte höhere Einkünfte, kurz- und langfristig.
«Entschuldigung», sagte Merrily. «Das war meine Schuld.» Sie hatte versucht, auf indirekte Weise zu sagen, dass es zwar eine gute Idee sein mochte, einen Souvenirladen aufzumachen, dass die Kirche aber auch als ruhiger, heiliger Ort fortbestehen sollte – weil es nicht nur ums Singen und Beten ging. Und es ging nicht nur um die Sonntage.
«Also, ich …» Onkel Ted Clowes erhob sich. Er gab sich verwirrt. «Ich verstehe das nicht ganz. Wie soll denn ein kleiner Laden verhindern, dass die Kirche ein heiliger Ort ist? Niemand sagt doch, dass er jeden Tag geöffnet haben muss.»
«Nein», sagte Merrily, «aber die Kirche selbst sollte … in gewissen Grenzen. Aber was ich sagen will, ist …»
Und dann verlor sie den Faden. Das Problem war, dass sie sich immer noch nicht entschieden hatte. Sie war vollkommen dafür, dass die Kirche sich öffnete. Hatte sie nicht Teds Plan bekämpft, die Kirche jeden Abend um sechs abzuschließen? Hatte sie nicht den empörten Puristen standgehalten, nachdem sie zugelassen hatte, dass Rex Rossers Hirtenhund Alice neben ihm auf einer der hinteren Bänke liegen durfte?
Das grelle Licht schmerzte Merrily in den Augen. Der Mobilfunkmast war bis jetzt noch nicht mal erwähnt worden. Vielleicht dachte Ted, wenn er den Laden durchsetzte, könnte er ihnen den Mast gegen Ende der Sitzung einfach auch noch unterschieben, oder er wollte ihn sich für das nächste Treffen aufheben – das vielleicht noch schlechter besucht sein würde als dieses, zu dem nur ein paar Abgeordnete der örtlichen Vereine erschienen waren: Fraueninstitut, Club der Jungbauern, Touristenvereinigung. Ein paar Ladenbesitzer waren ebenfalls gekommen, um ihre Befürchtung kundzutun, dass die Kirche ihnen Konkurrenz machte, wenn sie ins Geschenkartikelbusiness einstieg. Aber nichts Ernstzunehmendes, nichts, was Ted Clowes und seiner
Pro
-Fraktion übermäßige Sorgen hätte machen müssen.
«Der Punkt ist doch, Herr Vorsitzender …» Wieder war es Jenny Box, geborene Driscoll, die Merrily zu Hilfe kam. Sie war eine der wenigen, die aus keinem offensichtlich eigennützigen Grund hier waren. «Der eigentliche Punkt ist doch, dass ein kommerzielles Unternehmen die Heiligkeit und den Frieden stört, den eine Kirche zu jeder Zeit bieten sollte. Wenn ich in die Kirche gehen und beten will, möchte ich das vielleicht nicht vor lauter Urlaubern machen, die sich gerade Postkarten aussuchen.»
Und Jenny Box
ging
allein in die Kirche, um zu beten. Merrily hatte sie schon viele Male gesehen und war taktvoll, mit einemstillen Lächeln, an ihr vorbeigegangen, damit diese Frau sie ansprechen konnte, falls sie Hilfe brauchte. Bisher hatte sie darauf nicht reagiert, und Merrily wollte nicht den Eindruck erwecken, dem neuesten Ledwardine-Promi den Hof zu machen.
Tatsache war, dass fast alle im Ort Mrs. Box aus einer Lifestyle-Fernsehsendung kannten, die
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