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Der Himmel ueber Dem Boesen

Der Himmel ueber Dem Boesen

Titel: Der Himmel ueber Dem Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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nennen, den   …»
    Merrily sah zu dem Buntglasfenster mit den Äpfeln. Diese Engel waren sehr körperlich und wirkten mit ihren üppigen goldfarbenen Locken und ihren geschürzten Lippen eher weiblich.
    «…   den wir als etwas Schreckenerregendes, Böses betrachten und nicht als freundlichen, verständnisvollen Begleiter durch eine Situation, die für die meisten von uns die erste seit der Geburt ist, in der wir zu hundert Prozent hilflos sind.»
    Jenny Box hatte den Blick gesenkt. Merrily dachte an all die Krankenhausbetten, die ihrem Empfinden nach von dunklen, flaumigen Flügeln umschlossen wurden.
Aber
– der Gedanke durchfuhr sie wie ein Messerstich –
wo war der Todesengel, als das Gesicht von Lynsey Davies unter dem wilden Druck blau anlief, als ihre Augen hervortraten und ihre Zunge –?
    «
Ich   … Soweit ich weiß, habe ich nie einen Engel gesehen. Ich kann Ihnen also wirklich nicht sagen, ob sie so aussehen wie die Engel in diesem Fenster dort – ob sie tatsächlich Flügel haben oder ob sie aus Licht bestehen und so unsichtbar sind wie der Atem. Ich vermute allerdings, dass Engel   … genauso aussehen wie wir.»
    Und wie viele sind noch tot? Das weiß niemand. Und warum sind sie tot? Das weiß auch niemand.
    «
Manche Menschen behaupten, in Krisenzeiten tatsächlich Engel gesehen zu haben, manche glauben auch, sie   … gespürt zu haben.»
    Sie schluckte. Hob den Blick und sammelte ihre Gedanken. Hatte
sie selbst
schon einmal die Anwesenheit von Engeln gespürt? Hatten sie neben ihr gestanden, während sie die Kommunion verteilte?Oder waren sie vielleicht an Weihnachten bei ihr gewesen, in der Atmosphäre heiliger Einkehr, als die Glocken das Tal aufweckten?
    «Die meisten von uns aber haben nur Anzeichen für etwas gesehen, was uns als praktische Intelligenz erscheint, die aus dem Nichts kommt, um   …
eine Situation zu ändern
. Aber das allein ist – ein so erstaunliches Phänomen, so ein
Superman
-Phänomen, dass es leicht ist, sich davon hinreißen zu lassen und nach Engeln Ausschau zu halten, nach Anzeichen einer engelhaften Einmischung in alles, in jede kleine Situation.»
    Sie machte eine Pause und suchte mit den Augen nach Jane, die manchmal in eine der hinteren Bänke schlüpfte, ohne es vorher anzukündigen. Sie war nicht zu sehen. Kaum überraschend.
    «Ich selbst habe, nebenbei bemerkt, das Gefühl, dass Engel eine Ebene der Schöpfung sind, ein Aspekt des Göttlichen, der uns bewusst sein sollte. Oder bewuss
ter
. Und wenn wir Grund haben zu denken, dass ein Engel sich für uns eingemischt hat, sollten wir vielleicht nicht einfach nur sagen: ‹Oh, das war so vorherbestimmt›, sondern vielleicht kurz darüber nachdenken:
Warum?
Warum ich? Warum jetzt?»
    Alles, was diese Predigt ihren Zuhörern bisher mitgeteilt hatte, dachte Merrily jetzt, war, dass diese Pfarrerin noch nicht genau wusste, wie sie zu Engeln stand. Oder zu Jenny Box, der wahrscheinlich größten Wohltäterin dieser Kirche, seit die Bulls kein Geld mehr erübrigen konnten.
    Sie blickte über die versammelte Gemeinde, wollte einschätzen, wie weit sie noch gehen konnte, und bemerkte hinten im Mittelgang eine Bewegung: Frannie Bliss, der leise durch den Haupteingang kam.
    Frannie Bliss?
     
    Aber wie mehrere andere musste Bliss gegangen sein, bevor es nach dem Gottesdienst Kaffee und Tee gab – entweder das, oder sie hatte sich seine Anwesenheit nur eingebildet. Jenny Box war auch nicht geblieben, aber das tat sie nie; vermutlich hielt sie es für einen Missbrauch eines heiligen Zufluchtsortes, hier Getränke zu reichen. In diesem Punkt würde Merrily immer anderer Meinung sein; es ging darum, zu geben und zu teilen und sich zu öffnen, nicht darum, von den Leuten Geld einzusammeln.
    Niemand wollte über die Predigt sprechen. Niemand, so schien es, wollte eine eigene Erfahrung mit einem Engel offenbaren. Nachdem alle gegangen waren, drückte sich nur noch James Bull-Davies auf dem Friedhof herum.
    Der strenge, beinahe stürmische Wind schien gut zu James zu passen. Er beugte sich vor, die Hände auf dem Rücken, und starrte mürrisch einen Apfel an, den der Wind auf ein Grab hatte fallen lassen.
    «Diese Mrs.   Box.»
    Merrily zog ihren wollenen Schal enger um ihr Chorhemd und neigte neugierig den Kopf. Als James Bull-Davies nach dem Tod seines Vaters vorzeitig aus der Armee ausgetreten war, hatte er widerstrebend das geschultert, was er für die Last der Verantwortung hielt, die seine Familie für das

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