Der Himmel über Garmisch (German Edition)
hätte sich in ihrem Sessel vorbeugen müssen, um an die Scheine zu gelangen, aber sie blieb ruhig sitzen.
»Das ist nicht unser übliches Geschäftsgebaren, Herr Müller.«
»Wo ist das Problem? Hier ist Ihr Geld. Was brauchen Sie mehr?« Unbewegt hielt er ihr die Scheine hin.
»Dies ist eine Gemeinschaftspraxis. Ich muss das irgendwie mit meinem Kollegen verrechnen.«
»Wie Sie das verbuchen, ist mir egal – oder ob. Und wenn Ihnen das Unannehmlichkeiten bereitet, dann sagen wir, es ist für vier Stunden statt für fünf … oder was immer Sie für angemessen halten.«
»Ich weiß nicht … ich glaube, wir haben gar keinen Quittungsblock in der Praxis.«
Für eine Sekunde verengte sich Müllers Blick, es sah aus, als wolle er laut werden, aber der Moment verflog. »Ich brauche keine Quittung. Nehmen Sie das Geld einfach.«
Burgl zögerte noch immer, aber schließlich beugte sie sich vor und nahm die Scheine. Letztlich hatte der Mann ja recht. Ein Weg, das Geld zu verbuchen, würde sich finden. Aber es war kein gutes Gefühl.
Die Scheine waren neu, glatt und ein wenig steif. »Sind die echt?«, fragte sie mit einem Lächeln.
»Natürlich«, sagte Müller todernst. »Aber selbstverständlich steht es Ihnen frei, das zu überprüfen.«
»Später vielleicht …«
Sie nahm das Aufnahmegerät von dem kleinen Tisch, um es einzuschalten.
»Das geht leider nicht«, sagte Müller.
»Was?«
Er wies mit dem Kinn auf den kleinen Digital-Recorder in ihrer Hand.
»Keine Aufnahmen. Darauf muss ich bestehen. Kein Ton und kein Bild.«
Burgl öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Es war das Standardverfahren in der Praxis, um sich in schwierigen Phasen einer Therapie nicht nur auf Notizen, sondern auch auf den Klang der Stimme und die Wortwahl stützen zu können. Aber der Blick des Mannes, den sie Müller nennen sollte, veranlasste sie, darauf zu verzichten. Sie legte das kleine Gerät langsam wieder auf den Tisch.
»Ich muss mich darauf verlassen können, Frau Schwemmer. Keine Aufnahmen.«
»Okay …«
»Genauso, wie ich mich auf Ihre Schweigepflicht verlasse.«
»Das ist selbstverständlich.«
»Ich weiß, dass Ihr Mann Polizist ist.«
»So? Das wissen Sie? Und?«
»Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass ich das weiß. Und dass ich mich auf Ihre Schweigepflicht verlasse.«
Burgl sah ihn schweigend an.
»Es ist mir immer unangenehm, jemanden zur Rechenschaft ziehen zu müssen«, sagte Müller und blickte ihr starr in die Augen.
Burgl räusperte sich. »Ich muss einräumen, dass dies ein ungewöhnlicher Einstieg in ein Erstgespräch ist.«
»Ist das ein Problem für Sie?«
»Nun … das weiß ich noch nicht. Wenn es eines werden sollte, sage ich es Ihnen.«
»Gut.«
»Darf ich fragen, wie Sie auf unsere Praxis gekommen sind?«
»Jemand hat Sie empfohlen. Sie. Nicht die Praxis.«
»Und wer war das?«
»Tut nichts zur Sache. Er kennt Sie aus Ingolstadt.«
»Oh … das ist eine Weile her. Über zehn Jahre.«
»Ja.«
»Ich war dort Therapeutin in der JVA . Hat er dort eingesessen?«
»Ja.«
»Aha …« Burgl sah mit gespitztem Mund auf ihren Block. »Darf ich mir Notizen machen?«
Müller schien darüber ernsthaft nachzudenken. »Wenn Sie nicht darauf verzichten können«, sagte er nach einer Weile.
»Nicht vollständig«, sagte Burgl. »Aber ich werde sie knapp halten.«
»Schön.« Müller ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Es war ihm nicht anzumerken, ob ihm gefiel, was er sah. Burgl hatte viel Aufmerksamkeit auf die Einrichtung des Gesprächszimmers gelegt. Es sollte einerseits nicht kühl, andererseits nicht überladen wirken. Neben ihrem Schreibtisch gab es drei Sessel und eine Sofaliege. Die Wände waren in einem nicht zu satten Gelb gehalten und mit Kunstdrucken aus verschiedenen Epochen der Moderne dekoriert, sodass für die meisten Augen etwas Angenehmes zu finden war, wenn der Blick einmal abgewandt werden musste.
»Soll ich mich auf das Sofa legen?«, fragte Müller.
»Das steht Ihnen völlig frei«, antwortete Burgl. »Wenn Sie das angenehm finden …«
»Nein«, sagte Müller entschieden. Weiter sagte er nichts.
»Wir sollten zunächst einmal die Frage klären, was Sie hierherbringt«, sagte Burgl.
»Ich sagte Ihnen ja, dass man Sie mir empfohlen hat.«
»Herr … Müller, Sie müssten mir wenigstens eine Chance geben. Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht weiß, wobei.«
Müller nickte und sah zu Boden. Er wirkte unzufrieden. »Vielleicht
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