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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht einen Krümel des Verschwundenen … es geht das Gerücht, daß die Arbeitskommandos den Körper in winzigen Teilen in den Taschen hinaustrugen in den Altai und dort in der Wildnis, in den Wäldern, im Bergwerk oder auf den Feldern verstreuten.
    So etwas sprach sich herum in ganz Rußland, von Lager zu Lager. Es wird in Rußland nie mehr ein Lager geben, in dem ein Soldat allein durch die Baracken geht …
    Die anderen Verurteilten schwiegen, bis Oberleutnant Kaljus die Baracke verlassen hatte. Dann spuckte der Barackenälteste aus und kam auf Boris zu.
    »Keine Angst, Bruder«, sagte er so, daß es alle verstanden. »Wir haben nur einen Feind … und das ist die Menschheit jenseits des Zaunes! Wir hier in der Hölle sind ein Fleisch und ein Gedanke!« Er hielt Boris die breite, schwielige Hand hin, Zeugnis von jahrelanger Arbeit im Bergwerk. »Willkommen, Boris, bei den Toten.«
    Mit bebender Hand schlug Boris ein. Er sah sich um … Gesichter wie aus einem Gruselbuch … bärtig, verfallen, schmal oder aufgedunsen, faltig oder wie Pergament.
    »Wer seid ihr?« fragte er.
    »Alles Lebenslängliche, Bruder.«
    »Politische?«
    »Idioten und Mörder … die ganze Skala der Menschheit. Wer bisher nicht wußte, was der Mensch ist, der lernt es hier sehen und erkennen.« Er setzte sich auf das untere Bett und sah zu Boris empor. »Wie hat Genossin Kolzwoskaja dich eingestuft?«
    »Bergwerk.«
    »Ein Teufelsweib, was, Bruder?«
    »Ich habe sie nicht angeschaut.«
    »Sie aber dich, mein Junge. Sie ist aus auf Männer, die noch Kraft in den Knochen haben. Laß dir erzählen, was hier los ist. Ich bin jetzt sieben Jahre hier und habe viel gesehen. Wenn du Glück hast und dich nicht dumm stellst, kannst du mit ihr schlafen!«
    »Nie!« sagte Boris fest.
    »Hört euch den Idioten an!« rief der Barackenälteste. »Die Kolzwoskaja hat Gefallen an ihm, und er will nicht!« Er sprang vom Bett auf und packte Boris an den Schultern. »Hör einmal zu, du Edeljunge: Wenn die Kolzwoskaja will, daß du bei ihr schläfst, dann tust du es! Für uns, mein Junge! Sie gibt dir Brot, Butter, Wurst, Schüsseln mit Kasch, Hirse und Sojabohnen in Tomatentunke. Sie gibt dir sogar Wodka, um dich bei Laune zu halten und dir Kraft in die Lenden zu zaubern! Sie gibt dir alles, wenn du wie ein Hirsch bist … und die ganze Baracke hier kann von dir leben! Hörst du … die ganze Baracke rettest du vor dem Tode, uns allen gibst du einige Wochen, Monate oder gar Jahre mehr Leben, wenn du kein Idiot bist!«
    »Ich habe eine Frau, die ein Kind bekommt«, schrie Boris.
    »Wir alle haben Frauen und Kinder, und wir kröchen ins Bett der Kolzwoskaja, wenn sie uns nur winkte … wir kröchen wie Molche auf dem Bauch.« Der Barackenälteste legte den Finger unter Boris' gesenkten Kopf und schob ihn empor. Als Boris in die Augen des Mannes schaute, wußte er, daß es kein Scherz war, was er sagte.
    »Wenn du nein sagst, bringen wir dich um, du Heiliger, – hast du verstanden?«
    »Ja –«, sagte Boris heiser. Seine Kehle war trocken wie nach zehn Stunden Wüstenwanderung.
    »Und was sie dir gibt, bringst du mit und gibst es uns?!«
    »Ja –«
    »Das ist ein Schwur, uns allen gegenüber.«
    »Ja –«
    »Nun gut.« Der Barackenälteste entfernte sich zur Tür. »Jetzt bleibt uns nur übrig, zu warten, ob die Kolzwoskaja ausgehungert genug ist, sich an dich zu erinnern …«
    In der Nacht, der ersten im Lager III/2398 von Ust-Kamenogorsk, lag Boris auf seinem Holzbett und starrte schlaflos an die Decke. Er hatte Angst vor dem Morgen. Ein Sanitäter war gekommen und hatte ihn zur Typhusuntersuchung zur Kapitänsärztin bestellt. 9 Uhr morgens …

*
    Es war der gleiche Tag, an dem Erna-Svetlana als Hilfskraft in die Lager-Wäscherei kam.
    Zehn Tage lang war sie in Alma-Ata herumgeirrt, nachdem sie die Nacht bei dem Kirgisengreis verbracht hatte, auf einem Fellbett, wie sie in den Jurten stehen. Sie lief von Behörde zu Behörde, sie ging sogar zum NKWD, hinein in die Höhle des Löwen, und wurde von Genosse Gorodny mit dünnen Worten abgefertigt.
    »Boris Horn? Boris Horn?« sagte er, als müsse er sich erst erinnern. »Wissen Sie, Genossin … es gehen mir täglich hundert Namen durch die Finger. Wie soll ich mich da an einen Boris Horn erinnern?« Er sah an die Decke und dann auf das Bild Stalins, das ihm gegenüber an einem Ehrenplatz hing, dort, wo man früher die Heiligenikone mit dem ewigen Licht anbrachte. »Ach ja – Boris Horn«, sagte er nach

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