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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dinge sehen, die andere gar nicht wahrhaben wollen! Und im übrigen haben wir den Mörder ja längst.«
    »Das ist nicht wahr!« Boris starrte den breit grinsenden Halbtataren an. »So gemein könnt ihr nicht sein, einen Unschuldigen zu bestrafen.«
    »Er ist schon tot, Brüderchen«, kicherte Tschetwergow.
    »Noch ein Toter!« Boris lehnte den Kopf gegen die kalte Wand seiner Zelle. Weit zurückgelehnt saß er da, als blicke er in die Ferne. »Ich werde auch dieses Unrecht wiedergutmachen müssen.«
    »Fedja war ein Idiot!«
    »Auch ein Idiot hat eine Seele.«
    Ärgerlich verließ Tschetwergow die Zelle. Seele, dachte er. Wenn wir uns alle nach unserer Seele behandeln würden, wäre die Welt ein großer Kindergarten oder ein Altweiberheim.
    Er nahm sich vor, mit Gorodny zu sprechen. Unter vier Augen, bei einem guten Wodka oder Krimsekt. Rußland ist weit wie der Himmel. Sollte sich nicht ein Plätzchen finden, wo Worte in der Einsamkeit aufgehen wie Tropfen in einem Schwamm? Ein Plätzchen, wo Boris und Svetlana soviel reden konnten, wie sie wollten, aber wo sie niemand anhörte.
    Genosse Gorodny aber war ein fader Bursche. Er soff zwar den Wodka Tschetwergows, aber er war nicht zu bewegen, ein oder gar beide Augen zuzudrücken und die beiden Gefangenen der Partei zu übergeben.
    »Ich bin Moskau gegenüber verantwortlich, Brüderchen«, lallte er und rülpste. »Sie sind keine einfachen Muschiks, die man beliebig verschwinden und wieder auftauchen lassen kann. Sie haben den Freund des großen Stalin –«
    Tschetwergow winkte ab. »Denk an später, Brüderchen. Auch Stalin wird einmal alt.«
    »Es sind Mörder!« sagte Gorodny halsstarrig.
    »Sollen sie nach Moskau kommen?«
    »Nein! Sie werden hier abgeurteilt.«
    »Du weißt es genau?«
    »Ja. Mit sechzig anderen Banditen! Es geht schnell, Genosse. Sie haben ja gestanden.«
    Wütend sah Tschetwergow gegen Morgen den Genossen Gorodny wegfahren. Er hatte seinen Wodka umsonst geopfert, denn wenn der Prozeß in Alma-Ata stattfand, kam die Akte nie der Zentrale in Moskau zu Gesicht. Dafür zu sorgen, war eine Kleinigkeit.
    Am nächsten Morgen rief er Konjew an.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte er mit gleichgültiger Stimme. »Keiner von ihnen wird sprechen.«
    »Bleibt nur noch Boborykin.« Konjew seufzte. »Er gibt keine Ruhe wegen der Hütte.«
    »Ich werde ihn wegbringen lassen«, sagte Tschetwergow hart.
    Konjews Stimme klang traurig. »Das geht nicht, Genosse. Sobald er drei Tage nicht gesehen wird, sendet eine uns unbekannte Person einen dicken Brief nach Moskau. Es ist Erpressung, ich weiß es … aber tun Sie 'mal etwas dagegen, wenn –« Er sprach nicht den Satz zu Ende, aber Tschetwergow verstand ihn auch so.
    »Es ist ein schlimmes Leben, Ilja«, seufzte er. »Wir sind umgeben von Ratten und Wölfen! Gut, bauen wir dem Boborykin eine neue Hütte. Das Geld wird verbucht unter ›Anschaffung eines neuen Dorftraktors‹.«
    »Und wenn eine Kontrolle kommt?«
    Tschetwergow seufzte noch einmal. »Wer anders soll denn kontrollieren als ich, du Idiot?« rief er.
    Befriedigt legte Konjew in Judomskoje den Hörer auf.
    *
    Die Verhandlung vor dem Gericht in Alma-Ata war kurz, wie es Genosse Gorodny gesagt hatte.
    Innerhalb fünf Minuten wurde Boris Horn wegen Mordes an dem Dichter der Nation und Stalinpreisträger Iwan Kasiewitsch Borkin zum Tode verurteilt. Da die Todesstrafe aber abgeschafft war – vor allem aber deshalb, weil man kräftige junge Männer zu bestimmten Arbeiten dringend brauchte – wurde er zu lebenslanger Zwangsarbeit begnadigt.
    Boris Horn nahm das Urteil gelassen hin. Es hatte ja keinen Sinn, sich aufzulehnen. Er hatte gemordet … was ihn zu dieser Tat veranlaßte, überging das Gericht mit der zynischen Feststellung, daß der Werdegang eines Mädchens zur Frau natürlich sei und es Millionen Mordtaten gäbe, wenn alle so reagieren wollten wie Boris Horn.
    Für Erna-Svetlana kam der Schuldspruch ebenfalls nicht überraschend. Sie hatte ihn erwartet, und sie ertrug ihn mit einer Festigkeit und einer Willenskraft, die keiner ihr zugetraut hatte.
    Drei Monate hatte man auf den Prozeß warten müssen … als die Verhandlungen begannen, lag auf dem Tisch des Volksrichters ein Zeugnis des Gefängnisarztes, daß die Erna-Svetlana Bergner schwanger sei und der Vater Boris Horn hieße.
    »Sie standen ganz unter dem Einfluß des Mörders, Genossin«, sagte der Richter. Er war ein feister, alter Kommunist, der mit Tschetwergow seit zwei Monaten fast

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