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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Weile des Schweigens.
    »Deinen Mann? Vielleicht, wenn er draußen in der Halle bei den Leichen liegt. Alle drei Tage kommt ein Lastwagen und fährt die nackten Leiber weg. Irgendwo im Altai soll eine riesige unterirdische Höhle sein, wo man sie einfach hineinkippt wie leere Konservendosen. Meistens müssen wir den Toten die Sachen ausziehen, damit Olga ihr Geschäftchen machen kann. Bestimmt wird sie dich auch dazu nehmen.«
    Svetlana fröstelte es, trotz der ungeheuren feuchten Hitze, die in der großen Waschhalle lag. Sie faltete die Hände und schloß die Augen. Laß es nie zu, mein Gott … laß es nie zu …
    Die Vorarbeiterin stieß Svetlana an. »Betest du?«
    »Ja …«
    »Hier hilft kein Gott mehr –«
    »Er wird es tun, denn er ist überall.«
    »Es gibt ihn außerhalb von III/2398. Draußen vor dem Tor steht ein großes Schild, das wir nicht sehen: Eintritt für Gott verboten! Es ist mit Knochen geschrieben, die man mit Blut zu Buchstaben aneinanderleimte.«
    Erna-Svetlana sah langsam auf. Der Blick der Vorarbeiterin war starr und geradeaus gerichtet, so, als blicke sie durch die Mauern des Kesselhauses hindurch in eine unendliche Ferne.
    »Wer bist du?«
    »Eine begnadigte Strafgefangene.«
    »Und vorher?«
    »Professorin für neuere Philosophie in Leningrad.«
    Eine starke Schelle gellte durch die Halle. Zischend strömte aus den geöffneten Hähnen die heiße Lauge in den großen Auffangbehälter. Die Kessel wurden abgelassen … die zweite Kolonne, die Spülerinnen, wartete schon an den langen Trögen mit kaltem, fließendem Wasser, das von einer Naturquelle mit langen Rohren in die Halle geleitet wurde.
    »Komm«, sagte die Vorarbeiterin. »Es hat keinen Zweck mehr, zu denken. Hat dir Olga nicht ihren Lebensspruch vorgesagt?«
    »Überleben?«
    »Ja. Überleben. Das ist alles, was von einer Welt, von allem Wissen, von allen Weltanschauungen und Religionen übriggeblieben ist: Überleben … Und selbst das ist eine Utopie! Hier wird das Leben zu einem Nichts!« Sie stand auf und zog Erna-Svetlana mit sich empor. »Komm! Wenn Olga kommt – und sie wird kommen –, mußt du schon am Kessel stehen. Ich zeige dir am Abend dein Bett und deinen Schrank.«
    Fünf Stunden stand Erna-Svetlana am Kessel und rührte. Sie bemerkte Olga nicht, die kurz hereinschaute und zufrieden nickend wieder ging. Und sie sah auch Boris nicht, der aus dem Lager hinausgeführt wurde zu der Kapitän-Ärztin Wanda Kolzwoskaja.
    Zwei Bewacher mit Maschinenpistolen begleiteten ihn bis zur Tür des Lagerlazaretts … dort blieben sie zurück und ließen den Gefangenen allein eintreten.
    Sie lachten und drehten sich eine Zigarette.
    *
    Andreij Boborykin bekam seine neue Hütte.
    Genauer gesagt erschien eines Tages bei ihm Ilja Sergejewitsch Konjew und sagte:
    »Ich habe Nachricht von Genosse Tschetwergow, du alter Gauner! Du sollst deine Hütte neu bauen und dann die Kosten bei mir einreichen. Aber versuche nicht, uns übers Ohr zu hauen. Das wäre Sabotage an staatlichen Geldern und kostet dich zehn Jahre Lager! Wir werden alles genau nachprüfen.«
    »Wie ist es mit einem Vorschuß, Ilja?«
    Konjew verzog das Gesicht. »Vorschuß ist eine westlich-dekadente Einrichtung …«
    »Ab und zu sind sie auch nachahmungswürdig«, stellte Boborykin fest.
    »Stell einen Antrag in Moskau, Andreij …«
    Knurrend entfernte sich Boborykin und begann, von den Bauern mit Traktoren dicke Baumstämme an den Rand seines Sumpfes schleppen zu lassen. Dann lieh er sich ein starkes Pferd, jagte alle weg und zog die Stämme einzeln über unbekannte Wege weiter in den Sumpf hinein. Er hatte sich eine neue, etwas größere Insel inmitten des Schilfes und schwappenden Bodens gesucht, weiter entfernt vom Waldrand und schwerer für Minenwerfer und leichte Artillerie zu erreichen. Vor allem begann er, sein Haus gegen Fliegereinsicht zu tarnen, indem er Bäume und Büsche über das Dach zog und wie unter einem großen, grünen, wogenden Baldachin wohnte.
    Konjew, der den Bau betrachten wollte, um die Kosten abzuschätzen, verirrte sich im Sumpf und wurde in letzter Minute vor dem Versinken gerettet.
    »Du neugieriger Affe!« schrie Boborykin, als er Ilja Sergejewitsch aus dem Sumpf gezogen hatte und mit ihm auf einem Baumstumpf saß. »Was machst du hier? Spionieren, was? Nein, Brüderchen … dieses Mal bekommt ihr den Andreij nicht mit euren Kanönchen und Fliegerchen … dieses Mal ist es aus mit den Überraschungen.«
    »Du bist ein Tier, Andreij.«

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