Der Himmel über Kasakstan
eisernen Spieß über dem Feuer brutzelte, hatte er, einem plötzlichen Einfall folgend, die Nagaika, mit der er Borkin tötete, aus dem Haus geholt und in die Flammen des Holzstoßes geworfen. Sinnend hatte er dann dabeigestanden und zugesehen, wie die Flammen den Griff erfaßten, wie die Lederriemen sich in Feuer auflösten und schließlich ein Häufchen Asche alles war, was übrigblieb von einer grausamen Vergangenheit.
»Du solltest es nicht sehen, Svetla«, sagte er leise.
Sie nickte und tastete nach seiner Hand. »Wir wollen auch nie mehr darüber sprechen.«
Über der Steppe stand die Sonne. Hellgelb, gleißend, schwimmend in einem Meer von flüssigem Gold. Vom Dorf her zogen die Rinder zu den Weiden, die Nachthirten kamen zurück von den Herden, die draußen in der Steppe blieben, von weither hörten sie das Gerassel einiger Traktoren … der leichte Wind brachte die Laute mit, zusammen mit dem Rauschen der Wälder von Undutowa.
»Am Sonntag heiraten wir«, sagte Boris.
»Und einen Monat später wird das Kind kommen –«
»Ich werde mit dir nach Alma-Ata fahren.«
»Warum? Hier soll es geboren werden. Hier, wo es seine Heimat haben wird. Ich will diese grausame Stadt nie mehr sehen. Und es soll nie heißen: Es kam in Alma-Ata zur Welt! Ich hasse diese Stadt, Bor. Ich will sie nie wiedersehen!« Sie zeigte mit dem ausgestreckten Arm über das Land. »Hier ist unsere Welt – der Himmel und die Steppe, die Wälder und die Weiden, der Wind, die Sonne und der Regen von Kasakstan. Ich will in meinem Leben nichts anderes mehr sehen. Ich fürchte mich vor der übrigen Welt.«
Boris wollte etwas sagen, aber ein Reiter ließ es nicht zu. Er raste auf einem struppigen Panjegaul wie ein Teufel über die Anfahrtsstraße, jagte in den Hof und sprang vom Pferd, noch bevor es stand. Ein riesiger, struppiger Kopf ragte aus der Staubwolke heraus, und ein breiter Mund begann zu brüllen, als ginge die Welt unter.
»Brüderchen!« brüllte der unmenschliche Kopf. »Brüderchen Boris!«
»Boborykin!«
Boris und Svetlana sprangen auf und rannten die Treppe hinunter. Boborykin stand neben seinem flockenden Pferd und hatte die Arme ausgebreitet wie ein angreifender Bär.
»An mein Herz, ihr Lieben!« schrie er. »Ich habe es nicht glauben wollen! Das kostet eine Flasche Wodka für euren glücklichen Andreij …«
*
Fünf Jahre gingen dahin.
Sie verflogen wie das fünfmalige Herbstlaub der Wälder, wie die Samen der Sonnenblumen oder die morgendlichen Tautropfen.
Auf der Datscha lief ein fünfjähriger Junge herum, der Rudolf hieß und Mischa gerufen wurde. In einem Sandkasten hinter dem Haus spielte er mit einem zweijährigen Mädchen, das Maria genannt wurde. Aber alle auf der Datscha riefen es Mascha, und sie hörte darauf und schüttelte ihre blonden Locken, die aussahen, als habe sie Erna-Svetlana von ihrem Kopf geschnitten und der Kleinen aufgeheftet.
Die Felder rund um die Datscha waren voll Getreide und Gemüse, das Vieh war gesund und kraftvoll, die Wälder gaben bestes Holz, denn es wurde sorgsam ausgewählt und geschlagen. Auf der Steppe weidete eine Herde schönster Pferde, darunter Zweijährige, die das Renninstitut in Moskau bereits gemustert hatte und mit der höchsten Wertung belegte.
»Die Datscha ist ein Stolz der Sowjetmenschen«, sagte Ilja Sergejewitsch Konjew jedesmal, wenn eine Führung ausländischer Agrarier durch Kasakstan kam und hinaus zum Gute Boris' geführt wurde. »Hier zeigt sich der Aufbauwille unseres Volkes und die Kraft unserer Arbeit!«
In den Zeitungen, den Komsomolzen-Illustrierten und in der sowjetischen Wochenschau erschienen Bilder von den wogenden Kornfeldern Judomskojes, den wundervollen, über die Steppe galoppierenden Pferdeherden und den Mastochsen in den sauberen, weiß getünchten Ställen.
Die deutschen Bauern lächelten hinter der vorgehaltenen Hand. Was man auf den Bildern sah, war beste deutsche Bauernarbeit. Es war Tradition der Urväter, es war die Ausschöpfung von Boden und Natur, der Fleiß von Männern, die, in Rußland geboren, innerlich waren wie ihre Vorfahren aus dem Schwabenland, aus Hessen, dem Münsterland und den westpreußischen Ebenen.
Was in Moskau geschah, wurde in Judomskoje zwar mißtrauisch, aber sonst uninteressiert betrachtet. Stalin war seit fünf Jahren tot … Malenkow war schnell gegangen, der Kugelkopf mit den bauernschlauen Äuglein von Väterchen Chruschtschow lachte von allen Plakaten und Titelbildern und hing in allen
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