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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dir keinen Balken ins Auge!
    »Ich nenne ihn nur Brüderchen, weil er bei uns aufgewachsen ist! Er war ein guter Hirte. Und er ist ein großer Stalingegner.« Der Kommissar steckte sich die Zigarette an und sah dem ersten Rauch nach.
    »Sie sind weit voraus, Tschetwergow …«
    »Ein alter Kosak ist immer hart am Feind.« Tschetwergow grinste. »Wie ich sehe, haben auch Sie schon alle Stalinbilder aus den Diensträumen entfernt. Sie hätten sie umkränzen müssen, Genosse«, sagte er gehässig.
    »Die Politik. Man kennt es ja, Genosse.« Der Kommissar sah seine Listen durch. Sein Zeigefinger mit den Schmutzrändern unter dem Nagel blieb an einem Namen hängen. »Ein Boris Horn ist mitgekommen. Aber er wird nicht sofort freigelassen.«
    »Nicht?!«

»Erst gibt es ein eingehendes Verhör. Erst müssen die Akten genau überprüft werden. So viele denken jetzt, sie könnten uns betrügen. Sie kennen nicht unsere Gründlichkeit.«
    »Boris hat seine Ehre gegen einen Stalinfreund verteidigt. Erinnern Sie sich an Iwan Kasiewitsch Borkin, den Dichter?«
    »Nein.«
    »Sie lesen wenig, Genosse?«
    »Nur Akten von Verurteilten.«
    »Eine etwas einseitige Lektüre, Brüderchen. Man wird zu schwermütig davon.«
    »Aber sie bildet ungemein den politischen Blick.«
    »Da haben Sie recht«, sagte Tschetwergow ehrlich.
    *
    Nach sechs Tagen holte Tschetwergow zusammen mit Erna-Svetlana in einem Wagen der Partei Boris Horn aus dem Gefängnis ab.
    »Wir warten alle auf dich«, sagte er pathetisch und umarmte Boris, küßte ihn auf die eingefallenen, unrasierten Wangen und schob ihn in den Wagen neben Svetlana. »Konjew ist ganz verrückt vor Freude.«
    »Ilja Sergejewitsch?« Boris sah Tschetwergow von der Seite an. »Was habt ihr mit uns vor?!«
    »Muß man immer etwas vorhaben, wenn man freundlich ist?« fragte Tschetwergow beleidigt.
    »Bis jetzt war alles –«
    Tschetwergow fuhr mit beiden Händen durch die Luft. Er mußte, da er dabei das Lenkrad losließ, den Wagen bremsen.
    »Wir müssen die Vergangenheit vergessen!« unterbrach er Boris. »Es ist alles anders geworden. Wir haben alle unter dem Befehl Stalins gelitten. Er hat die Partei fast zugrunde gerichtet mit seiner Selbstherrlichkeit. Im Kreml wird man jetzt vieles anders machen. Wir wollen nicht vergessen, daß wir fühlende Menschen sind –«
    Boris Horn legte den Arm um Svetlanas Schultern.
    »Es ist direkt unheimlich, so etwas zu hören, wenn man aus einer Hölle kommt.«
    »Vergessen, Brüderchen, vergessen.«
    »Ich habe sie sterben sehen. Hunderte pro Tag.«
    »Vergessen –«
    »Wir haben gelebt wie die Ratten. Aber während die Ratten fett wurden an den Abfällen in der Küche, verhungerten wir.«
    »Vergessen, Brüderchen, vergessen –«
    »Man kann das nicht vergessen, Tschetwergow! Ein Tag wiegt in Ust-Kamenogorsk wie ein Jahr!«
    »Du hast es überlebt. Jetzt wird das ganze große Sowjetvolk für dich sorgen!« Tschetwergow richtete sich im Sitzen auf. Er kam sich vor wie auf einer großen Tribüne vor einem Wald von Köpfen und Transparenten, die ihm zuhörten, mit offenen Mündern und leeren Hirnhöhlen.
    »Es ist zu phantastisch, um es zu glauben. Ich habe mein ganzes Leben über nur Flucht und Vertreibung, Elend und Haß kennengelernt.«
    Tschetwergow fuhr wieder an. »Du bist noch jung, Boris«, sagte er. »Als ich so jung war wie du, wurde ich von den Bojaren getreten und mußte mit den Händen den Kuhmist aus den Ställen tragen. Solche Schweine waren das! Es geht nichts über die Freiheit des Sowjetmenschen!«
    Boris schwieg. Er sah Svetlana an, die neben ihm saß und den Kopf auf seine Schulter gelegt hatte. Ihre Augen lächelten. Laß ihn reden, mochte es heißen. Wir sind wieder beisammen … wir fahren hinaus in die Sonne. Was wollen wir mehr vom Leben? Du und ich und das Kleine, das sich unter dem Herzen bewegt und strampelt und tritt, als könne es sich mitfreuen über mein Glück. Wollen wir tatsächlich mehr vom Leben als uns?
    Eine Kindheitserinnerung leuchtete in ihr auf.
    »Ist der Papagei noch auf der Datscha?«
    »Welcher Papagei?« fragte Tschetwergow.
    »Djadja hatte einen Papagei. Er hing in einem Messingkäfig in seinem Arbeitszimmer.«
    »Wenn Konjew ihn nicht umgebracht hat wie die Hunde, lebt er noch.«
    »Konjew hat die Hunde getötet?«
    »Sie wurden unausstehlich. Wenn man ihnen Futter durch die Gitter gab, bissen sie in die Hände. Da hat sie Ilja erschossen. Die Hirten haben ein Fest gemacht und sie aufgefressen.«
    »Es

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