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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wirst alles noch sehen.«
    »Kennst du denn das neue Land, Vati?« fragte Mischa weiter.
    »Nein!«
    »Und warum fährst du dann hin, Vati?«
    Boris schwieg. Warum, dachte er. Ja, warum?
    »Ich werde es dir erklären, wenn du größer bist«, sagte er. »Du mußt dir nur eines merken, Mischa: Es gibt auf der ganzen großen Welt kein größeres Verbrechen als die Politik!«
    »Bor«, rief Erna-Svetlana tadelnd. »Das Kind versteht es doch nicht.«
    »Noch nicht!« Boris hob die Peitsche und trieb die Pferde an. Die Straße nach Undutowa begann breiter und fester zu werden. Sie trabten schneller. »Aber ich will, daß es von Kindesbeinen an alles, was mit Politik zusammenhängt, hassen lernt!«
    Zwei Stunden später begann es zu regnen.
    Es war ein kalter Regen, der schon die Geburt des Schnees in sich trug.
    Der Winter zog mit ihnen nach Alma-Ata.
    *
    Als der erste Transport in Alma-Ata zusammengestellt und auf dem Güterbahnhof vor den Waggons angetreten war, noch einmal mit den Listen verglichen wurde und Verpflegung empfing – 467 Deutsche, Männer, Frauen, Greise, Kinder, in denen die Erwartung des neuen Landes den Abschiedsschmerz zu überdecken begann –, hatte Tschetwergow sich einen Tag Urlaub genommen und war in die Berge gefahren. Sein Stellvertreter, ein junger kalmückischer Russe, der in Alma-Ata die Staatsschule besucht hatte und zum fanatischen Nachwuchs gehörte, leitete den Abgang des Transportes fast nach der Stoppuhr.
    Moskau befahl: um 10.25 Uhr Abgang des Güterzuges.
    Es war eine angenommene Zeit … für den jungen Kalmücken war es ein Befehl. Um 10.15 Uhr wurden die Deutschen in die Waggons gejagt.
    »Die Türen werden verriegelt und plombiert!« schrie jemand den Zug entlang. »Wegen Spionagegefahr! Wenn jemand die Türen öffnet, wird sofort geschossen!«
    Dann rollten die Waggontüren zu, rasteten ein und wurden von außen verriegelt.
    »Wie Schlachtvieh!« sagte ein Bauer laut, der mit Boris und Svetlana in einem Wagen hockte. »Anno 1939 war es genauso. Als man an der polnischen Grenze dann die Türen öffnete, fielen die Toten zwischen die Schienen.«
    »Das wird man jetzt nicht wagen«, rief ein anderer Bauer aus der Ecke. »Wir kommen als Propagandasendung nach Deutschland zurück. Chruschtschow braucht uns, um der Welt zu zeigen, wie freundlich er sein kann! Er wird uns pflegen lassen wie Mastlämmer!«
    Vier Tage später war dieser Bauer tot. Er starb an einem Lungenriß, weil er bei einem Aufenthalt einen sowjetischen Offizier anschrie, er habe Durst und wolle Wodka. Der Offizier schlug ihn mit der Faust nieder und trat ihn mehrmals in die Brust. Auf dem Rand der Böschung starb er, im ersten Schnee, der über Nacht gefallen war.
    Sie rollten fünf Tage und Nächte ununterbrochen durch das riesige russische Land bis Moskau. Sie rollten der Kälte entgegen und dem Winter, den sie in Kasakstan nie so erlebt hatten.
    In der dritten Nacht überzog sich das Innere der Waggonwand mit Eis … kleine Eisenöfen mit etwas Kohlen und Holz wurden in die Wagen gestellt, das Ofenrohr durch ein Loch des seitlichen Entlüftungsschlitzes hinausgeführt.
    »Das muß reichen bis Moskau!« schrie einer der Begleitposten. »Wir haben selbst nicht mehr! Der Winter kommt zu früh!«
    Erna-Svetlana hatte die Kinder zwischen die Federbetten gepackt. Dort lagen sie warm, und der Tee, den sie auf der Ofenplatte kochte, wärmte sie noch mehr. Boris und Svetlana rollten sich am Abend zusammen in eine Decke und wärmten sich gegenseitig. Sie froren nicht. Was war dieser Waggon schon gegen die Eishöhle, in der sie mit der schwerverletzten Natascha Trimofa gelegen hatten, vor dem Schneewind geschützt durch die Pferdeleiber, die sie an den Eingang der Höhle gelegt hatten. Damals zogen sie ins Ungewisse hinein … heute wußten sie, daß nach allen Mühen einmal der Tag kommen würde, an dem sie das Ziel erreicht hatten. Der Tag, an dem Deutschland sie aufnahm wie verlorene Söhne.
    In Tambow wurden die ersten Toten ausgeladen. Greise und Kinder, erfroren oder an Erschöpfung eingegangen wie ein Licht ohne Sauerstoff. Sie wurden aus den Waggons geworfen, in den Schnee gelegt, mit Schnee zugeschaufelt. Dann fuhr der Zug weiter. Alles ist nur Zeitverlust!
    »Wie damals«, sagte der eine Bauer wieder. »In Rußland ändert sich nichts. Damals starben in unserem Transport 92 Menschen!«
    »Halt's Maul!« schrie einer aus der Ecke. »Du machst die Weiber nur verrückt.«
    Kurz vor Moskau begannen sie, die

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