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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und bog sich in den Hüften. Boris hob die Fäuste. Konjew trat ein paar Schritte zurück.
    »Stoij!« schrie er. »Wenn die Kinder nicht kommen, erlaube ich nur 60 Pfund!«
    Wortlos, schwer, als trüge er eine Zentnerlast auf den Schultern, wandte sich Boris ab und ging zurück zu dem Gesindehaus. Morgen ist alles vorbei, dachte er. Morgen geht es nach Deutschland. Ab morgen ziehen wir der Freiheit entgegen, einem besseren Leben, einer Gerechtigkeit, einer Menschlichkeit, einem Frieden.
    »Wir müssen Konjew die Kinder zeigen«, sagte er, als er Svetlana in der kleinen Küche traf. Sie kochte für die kleine Natascha einen Milchbrei aus Ziegenmilch.
    »Jetzt? Bei diesem Wind?«
    »Er will es so! Es sind die letzten Schikanen, Svetla … morgen geht es nach Hause, nach Deutschland …«
    »Nach Hause, Bor …?«
    Er schwieg und sah auf den Boden. Ihre Heimat war Kasakstan, sie wußten, fühlten und verstanden es. Aber es war sinnlos, weiter darüber zu sprechen oder nachzudenken, warum es nicht ihre Heimat sein durfte und sie Deutsche waren, wo sie Deutschland nicht kannten und als Erinnerung aus ihren Kindertagen nichts mitbrachten als die geschändeten und getöteten Mütter und einen Pfarrer, den man an die Tür seiner kleinen Dorfkirche genagelt hatte.
    »Komm«, sagte Boris. »Gehen wir hinaus.«
    Erna-Svetlana wickelte um die Köpfe der Kinder dicke Schals aus Schafwolle, steckte sie in Wattejacken und nahm die kleine Natascha auf den Arm. So gingen sie hinaus in den pfeifenden Winterwind, wo Konjew wartete, wütend, daß man ihn hier stehen ließ und nicht schneller kam.
    »Dawai!« brüllte er. »Hierher!« Er zeigte vor sich und sah Svetlana an, die mit den Kindern auf ihn zukam. »Halt! In einer Reihe …«
    Zufrieden betrachtete er sein Werk. In einer Reihe standen Boris, Erna-Svetlana und die beiden größeren Kinder, aufgereiht wie zu einer Truppenbesichtigung. Nur das Kleinste saß auf dem Arm Svetlanas.
    Ilja Sergejewitsch Konjew nutzte das Schauspiel bis zum Bersten aus. Es war ein sinnloses, aber unerhört gemeines Spiel, das er trieb und das ihn entschädigte für den Tritt, den er von Boris erhalten hatte.
    Wie ein Viehhändler ging er von einem zum anderen. Zuerst zu Boris. Er hob die Hand und befühlte dessen Kopf.
    »30 Pfund wert«, sagte er hämisch.
    »Wenn du Svetlana anfaßt, erwürge ich dich«, sagte Boris, bevor Konjew zu ihr trat. Ilja Sergejewitsch wußte, das es ernst war. Er befühlte nicht den Kopf, aber er kommandierte mit schneidender Stimme:
    »Tuch ab!«
    Wortlos riß sich Erna-Svetlana das Tuch von den langen goldenen Haaren. Konjew nickte.
    »30 Pfund.«
    Boris knirschte mit den Zähnen. »Auch die Kinder berührst du nicht!« zischte er.
    »Keine Angst. Deine Brut fasse ich nicht an.« Konjew stand vor der kleinen Maria. Sie sah ihn aus großen, blauen Augen an. Aus deutschen Augen, wie Konjew gehässig feststellte.
    »Tuch ab!« kommandierte er.
    Boris trat einen Schritt vor. Aus den Augenwinkeln schielte Konjew zu ihm hin.
    »Bei diesem Wind nicht! Was soll das überhaupt? Was bildest du dir ein?! Ich werde es Tschetwergow melden!«
    Konjew biß die Zähne aufeinander. Das war das Schlimmste, was man ihm antun konnte … ihm mit Tschetwergow drohen. Tschetwergow, der Lump, der ihn um die Datscha betrogen hatte.
    »Tücher ab!« schrie er grell. »Oder ich werfe alles vom Wagen, was mehr ist als 60 Pfund!«
    Erna-Svetlana sah Boris an und schüttelte den Kopf. Es hat doch keinen Sinn, Bor, sollte es heißen. Sie haben die Macht.
    Sie beugte sich zu den Kleinen hinab und löste ihnen die Kopftücher. Auch der zu weinen beginnenden Natascha löste sie das wollene Kopftuch und hielt das Köpfchen in den Wind.
    »Hier!« sagte sie laut.
    Konjew schob die Unterlippe vor. Er ging langsam von Kind zu Kind, betrachtete den Kopf eingehend und nickte dann.
    »Es ist gut«, sagte er dann. »Es bleibt bei 60 Pfund!«
    Boris schnellte vor. »Bist du verrückt?!«
    »Nein!« Konjew grinste breit. »Aber in der Verfügung heißt es: Pro Kopf und Person 30 Pfund!« Er zeigte auf die Kinder, denen Svetlana wieder die Tücher umband. »Aber das sind ja keine ausgewachsenen Köpfe und Personen. Es sind halbe Köpfe und halbe Menschen … davon steht nichts in der Verfügung. 60 Pfund und nicht mehr! Alles andere fliegt vom Wagen!«
    Er drehte sich um, als habe man ihm ›kehrt‹ kommandiert, und verließ mit großen Schritten den Hof der Datscha.
    Jetzt habe ich es ihm gezeigt, triumphierte

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