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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vor!
    Niemand wußte ja, daß Njomez nur ein Strohmann war, der froh war, auf der Datscha den Herrn zu spielen. Im Hintergrund stand Tschetwergow. Er war der neue Herr, er würde aus der Datscha herausziehen, was nach der Abführung der Norm an Überschuß vorhanden war. Und das schien allerhand zu sein, wenn man die Vorräte betrachtete, die Boris und Svetlana angelegt hatten, vor allem für den Winter, der streng werden sollte. Jedes Jahr zwei Schweinchen, dachte Tschetwergow. Und dann die Würstchen, die Äpfelchen, das viele, viele Gemüse, die Hühner, Eier, Butter, Milch – o Väterchen, es ließ sich gut leben in Rußland, wenn man es verstand, klug und gerissen zu sein.
    Als die Möbel eingeräumt waren, kam Njomez hinüber in den Stall zu Boris. Er streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
    »Es tut mir leid, Brüderchen, daß es so gekommen ist. Aber ich kann ja nichts dafür. Es ist die Politik.«
    »Schon gut, Sergeij Alexandrowitsch. Es freut mich, daß du sieben Kinder hast. Sie werden es gut hier haben.«
    »Das sagte Svetlana auch. Ihr seid gute Menschen.«
    Er ging wieder zurück zur Datscha mit dem Gefühl, etwas Treffliches gesagt zu haben.
    Weniger trefflich benahm sich Konjew. Er kam am nächsten Tag in seiner Eigenschaft als Dorfsowjet und kontrollierte die Arbeit auf der Datscha im Auftrage der Sowchose, der das Gut angeschlossen war.
    Er sah Boris im Schweinestall stehen und eine Pfeife rauchen. Konjews Herz begann zu zucken.
    »Nanu?« sagte er laut. »Wird hier die Norm in die Luft geblasen?!«
    Boris zog die Augenbrauen hoch. »Besser, als wenn sie im Hohlraum eines leeren Kopfes verschimmelt.«
    Konjew nahm sich vor, dieses nicht auf sich zu beziehen, wenn es auch weh tat, zu wissen, daß man damit gemeint war.
    »Herumgestanden wird erst am Abend«, sagte er laut. »Die Kerle haben zu arbeiten.«
    »Sag das in einen Spiegel hinein, Ilja Sergejewitsch.«
    »Woher nimmst du nur die Frechheit«, schrie Konjew. Er trat an Boris heran. »Du infamer Karrieremacher! Erst in der Gosse geboren, dann Mörder, dann Herr auf der Datscha –«
    Er kam nicht weiter mit seiner Aufzählung. Boris packte ihn am Kragen, drehte den Verblüfften herum, hob das Knie und stieß es mit aller Kraft in Konjews Gesäß. Wie katapultiert flog er aus dem Schweinestall heraus und konnte sich an der Tür noch festhalten, sonst wäre er in den Hofschmutz gefallen.
    »Das kostet dich mein letztes Mitleid!« schrie Konjew grell und sich überschlagend.
    Boris antwortete nicht. Er ging zur Tür und zog sie zu.
    Was kann mir noch geschehen, dachte er. Es gibt nichts an Leiden, was ich nicht kenne. Wäre ich Hiob, reichte mein Körper nicht aus für die Wunden, die man mir schlug.
    Über den Hof kam Njomez und sah Konjew mit drohenden Fäusten dastehen. Verwundert blickte Njomez in den Himmel.
    »Nanu, Genosse«, sagte er, »wir haben doch noch keinen Vollmond, den Sie anbeten können.«
    Weiß vor Wut rannte Konjew von der Datscha.
    *
    Am 14. Oktober 1958 ging der erste Transport nach Deutschland.
    Aus der ganzen Gegend, aus Kasakstan überhaupt, waren es nur Boris und Svetlana, die wegkamen in die neue Heimat.
    Als habe sich nichts geändert, so kam, wie damals 1939 Semjow zu den Eltern, dieses Mal Konjew zu ihnen und stellte sich breitbeinig vor Boris auf.
    »Morgen früh geht es los!« schrie er. Er schrie deshalb, weil es ein Befehl war. Es liegt in der Eigenschaft des Wortes Befehl, daß man schreien muß … nicht nur in Rußland! »Pro Kopf sind 30 Pfund Gepäck erlaubt. Mehr nicht. Ich wiege nach!«
    »Das ist genug«, sagte Boris still. »150 Pfund sind eine Menge.«
    »150 Pfund?« Konjew sah Boris triumphierend an. »60 Pfund, Genosse!«
    »Wir haben drei Kinder!«
    »Vorzeigen!« schrie Konjew.
    »Sind Sie verrückt geworden?« sagte Boris ärgerlich. »Lassen Sie das Theater. Sie kennen sie doch.«
    »Ich bin hier amtlich. Ich muß die Kinder sehen!«
    Boris ballte die Fäuste. Von der Steppe her blies ein kalter Wind. Die hohen Bäume rund um das Haus knarrten mit den kahlgewehten Zweigen und Ästen. Es würde Schnee geben … seit Jahren Schnee in der Steppe!
    »Komm mit«, sagte Boris.
    »Nein. Ich muß sie hier sehen.«
    »Ich stelle sie nicht deinetwegen in den Wind!«
    »Sie werden noch oft im Wind stehen, die süßen Kleinen«, sagte Konjew genußvoll. »Die ganze Strecke bis nach Deutschland ist schon verschneit und eisig kalt. Man muß sie abhärten, die jungen deutschen Soldaten!«
    Er lachte laut

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